Eine Ikone des Bildjournalismus: Thomas Hoepker (1936 – 2024) zählte zu den wichtigsten Fotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Wahlspruch lautete: „Ich bin kein Künstler. Ich bin ein Bilderfabrikant.“ Viele seiner Fotografien, wie seine Portraits von Muhammad Ali und die Aufnahmen vom 11. September 2001 in den USA, sind zu ikonischen Erinnerungsbildern geworden und in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingegangen.
Der Verlag Schirmer/Mosel, München, hat mit „Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhattan, 11. September 2001“ ein weiteres Buch seiner neuen Reihe kleiner, feiner Bände „Ein Bild und seine Geschichte“ herausgegeben. Ergänzt durch einige weitere Aufnahmen des Ereignisses widmet es sich dem vieldiskutierten Foto, das der deutsche Magnum-Fotograf Thomas Hoepker in New York am Tag des Attentats auf das New Yorker World Trade Center fotografiert hat.
Ulrich Pohlmann, der langjährige Leiter des Fotomuseums im Münchner Stadtmuseum, weist in seiner Einführung darauf hin, dass die Aufnahme von Thomas Hoepker zunächst nicht im Sieb irgendeiner Bildredaktion oder Agentur hängengeblieben ist. „Das lag vor allem an der persönlichen Entscheidung des Fotografen, das Bild nicht in Umlauf zu geben.“ Erst 2005, als Bilder für eine große, in München geplante Retrospektive von Thomas Hoepker zusammengestellt wurde, wählte man unter anderem auch sein bisher unveröffentlichtes Foto der Personengruppe vor der Kulisse von Manhattan mit der Rauchwolke im Hintergrund aus, obwohl es sich deutlich von den anderen Bildern
unterschied.
„Denn von der dramatisch aufgeladenen Atmosphäre war ‚Blick von Williamsburg auf Manhattan‘ weit entfernt. Es passte aktuell auch gar nicht zu der Stimmung, die weltweit nach dem Attentat herrschte. Als die Fotografie erst vier Jahre nach dem Ereignis veröffentlicht wurde, löste sie eine intensive Debatte aus, wurde aber gleichzeitig zu einer Art Markenzeichen der langen beruflichen Karriere von Thomas Hoepker.
Michael Diers, Professor für Kunst- und Bildgeschichte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und der Humboldt-Universität zu Berlin, befasst sich unter dem Titel „Ereignis Bild. Fotografie, Politik und (Be-)Deutung“ mit der Darstellung der fünf jungen Leute, die Hoepkers Bild „auf einer Terrasse am East River vor der Hochhauskulisse New Yorks, die von der Rauchsäule der Twin Towers wie durch ein Menetekel ge(kenn)zeichnet ist.“ Diese sind scheinbar unbeteiligt, sitzen in der Sonne und unterhalten sich. Er weiß aber, dass sich die Fotografierten unmittelbar nach der ersten Veröffentlichung des Bildes meldeten und zu ihren damaligen Gefühlen äußerten: Es handelt sich um ein Paar, das die anderen jungen Leute vorher gar nicht kannte und mit diesen über das schreckliche Ereignis diskutierte. „Wir waren zutiefst geschockt und fassungslos, wie alle anderen, denen wir an dem Tag begegneten.“ Diers Schlussfolgerung daher: Unsere Augen sind fehlbar.
Die von Thomas Hoepker fotografierte Szene am Rande des Attentats auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001 ist mittlerweile als Dokument eine Ikone sowohl des Bildjournalismus als auch der amerikanischen Geschichte geworden.
H.-G. v. Zydowitz
Thomas Hoepker
Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhattan, 11. September 2001
Ein Bild und seine Geschichte
Text: Michael Diers, Ulrich Pohlmann
64 Seiten mit 10 Farbabbildungen
München, Verlag Schirmer/Mosel
ISBN: 978-3-8296-0980-7;
Preis 24,80 Euro