Die Deutsche Börse Photography Foundation und die Photographers‘ Gallery London haben die Shortlist für den Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2026 bekanntgegeben: Die vier Finalist*innen sind Jane Evelyn Atwood, Weronika Gęsicka, Amak Mahmoodian und Rene Matić. Der Preis den die Deutsche Börse Photography Foundation gemeinsam mit der Photographers‘ Gallery London verleiht, zeichnet jährlich Künstler*innen für ihre Projekte aus, die in den vergangenen 12 Monaten einen bedeutenden Beitrag zur Fotografie geleistet haben. Die Ausstellung ausgewählter Werke aus den Projekten der vier Künstler*innen wird vom 6. März bis 7. Juni 2026 in The Photographers’ Gallery, London zu sehen sein. Im Anschluss daran wird sie vom 3. September 2026 bis 17. Januar 2027 in der Deutsche Börse Photography Foundation in Eschborn/Frankfurt gezeigt.

Bild: Weronika Gęsicka „Eachy #1“ (Fragment) aus der Serie „Encyclopaedia”, 2023–2025. Courtesy of the artist und der Jednostka Gallery
Dreiteilige Fotoserie einer monsterähnlichen Figur
Der 1996 ins Leben gerufene Preis zeichnet Künstler*innen aus, die durch eine Ausstellung oder Publikation, die in den letzten 12 Monaten in Europa gezeigt oder veröffentlicht wurden, einen bedeutenden Beitrag zur Fotografie geleistet haben. Die für 2026 ausgewählten Arbeiten umfassen kollaborative Fotoprojekte, investigative Dokumentarfotografie, Installationen, Video- und Soundarbeiten sowie Werke experimenteller konzeptueller Fotografie. Themen wie Exil und Gedächtnis, Geschlechterungleichheiten und der Einsatz für Gleichstellung, Identität und Zugehörigkeit, Subkultur und Klasse in unserer Gegenwart sowie die sich verschiebenden Grenzen zwischen fotografischer Realität und Fiktion bestimmen die Shortlist.
Der*die Gewinner*in der mit 30.000 Britischen Pfund dotierten Auszeichnung wird im Rahmen einer Preisverleihung am Donnerstag, dem 14. Mai in der Photographers’ Gallery, London bekanntgegeben. Die anderen drei Finalist*innen erhalten jeweils ein Preisgeld von 5.000 Britischen Pfund.

Bild: Jane Evelyn Atwood
Besuchsrecht für ein Ehepaar, das wegen Diebstahls eines Gemäldes aus einem Museum inhaftiert wurde. Maison d’arret de Femmes de Dijon, Frankreich, 1991
© Jane Evelyn Atwood
Jane Evelyn Atwood (* 1947, New York, USA) wurde für ihre Publikation „Too Much Time / Trop de Peines“ ausgewählt, eine 2024 bei Le Bec en l’air, Marseille neu aufgelegte und überarbeitete zweisprachige Ausgabe von zwei ursprünglich im Jahr 2000 veröffentlichten Werken. Jane Evekyn Atwoods „Too Much Time / Trop de Peines“ geht auf eine sich über zehn Jahre erstreckende Untersuchung zurück, in der die Künstlerin während der 1990er Jahre inhaftierte Frauen in vierzig Gefängnissen in neun Ländern begleitet hat. Mittels intensiver Recherche und großer Empathie dokumentiert Atwood die Lebenswirklichkeit der Insassinnen: ihren beschränkten Zugang zu Hygieneeinrichtungen, den Mangel an gynäkologischer und psychischer Gesundheitsversorgung sowie die massiven Ungleichheiten im Vergleich zu männlichen Häftlingen. Getrieben von einer tiefen Hingabe für soziale Gerechtigkeit und dem Verlangen, Systeme der Ausgrenzung aufzudecken, gibt Atwood Leben und Geschichten Sichtbarkeit, die viele von uns lieber ausblenden.

Bild: Jane Evelyn Atwood
Eine schwangere Insassin, die mit Handschellen gefesselt ist, windet sich vor Schmerzen während einer gynäkologischen Untersuchung, kurz vor ihrer Kaiserschnittentbindung.
Zwei bewaffnete Wachen stehen vor der offenen Tür ihres Krankenhauszimmers. Providence City Hospital, Anchorage, Alaska, USA, 1993
Weronika Gęsicka (* 1984, Włocławek, Poland) wurde für ihre Publikation „Encyclopaedia“, herausgegeben im November 2024 von BLOW UP PRESS und Jednostka Gallery, ausgewählt. „Encyclopaedia“ greift ein reales Phänomen auf: falsche Lexikoneinträge, die vorsätzlich in Enzyklopädien, Wörterbücher oder Lexika eingefügt werden. Ursprünglich wurden sie als eine Art Falle angelegt, um Verstöße gegen das Urheberrecht aufzudecken, oder als spielerische Möglichkeit für Redakteur*innen, ihre Spuren im Text zu hinterlassen. Diese erfundenen Informationen tragen auf subtile Weise dazu bei, unser
Vertrauen in Quellen auszuhöhlen, die einmal als verbindlich galten. In „Encyclopaedia“ präsentiert Gęsicka Hunderte dieser gefälschten Begriffserklärungen, die alle aus historischen Publikationen stammen. Indem sie manipulierte Stockfotos und KI-generierte Bilder einsetzt, interpretiert Gęsicka die falschen Einträge neu und unterstreicht auf diese Weise die Spannung zwischen Wahrheit und Erfindung ebenso wie die fragile Grenze zwischen Realität und Fiktion.
Wo KI-generierte Inhalte zur Norm geworden sind und Bilder problemlos abgeändert werden können, wird die Frage virulent, was geschieht, wenn auch nur ein einziger Fehler in einer Quelle auftritt, der wir vertrauen. In einer Zeit, die von Fehlinformationen und Manipulation geprägt ist, erinnert das Werk so auf
humorvolle Weise daran, dass Wissen, das einst als gefestigt und objektiv galt, heute ein durchaus unsicheres Terrain ist.

Bild: Weronika Gęsicka Galerie Jednostka
Argusto Emfazie, aus der Serie „Encyclopaedia”, 2023–2025.
Ein Mann mit Stift und Papier am Schreibtisch. Dahinter das Hologramm einer Frau

Bild: Amak Mahmoodian
Einhundertzwanzig Minuten, 2019–2024. Schwarz-Weiß-Fotografie einer Frau
hinter einem Netzvorhang, die in jedem Arm ein Baby hält.
Amak Mahmoodian (* 1980, Shiraz, Iran) wurde für die Ausstellung „One Hundred and Twenty Minutes“ beim Bristol Photo Festival, UK (16. Oktober bis 17. November 2024) ausgewählt. Mit Fotografien, Gedichten, Texten, Zeichnungen und Videos erforscht die Künstlerin emotionale und seelische Landschaften im Exil: Wie sich in Träumen neue Lebensentwürfe formen und die Vergangenheit unablässig in die Gegenwart drängt. Sechs Jahre lang arbeitete Mahmoodian eng mit 16 Mitwirkenden aus 14 Ländern zusammen. Ihre über die Jahre geführten Gespräche konzentrierten sich auf immer wiederkehrende Träume und die Auswirkungen des Exils auf Erinnerung und Identität. Mahmoodian begann ihre Karriere als multidisziplinäre Künstlerin und Erzieherin im Iran; seit 2010 lebt sie
in Großbritannien, da es ihr verwehrt ist, in ihre Heimat zurückzukehren. Träume bilden für sie ein lebenswichtiges, zwischen Realität und Fantasie changierendes Band zu ihrer verlorenen Heimat und Familie.

Rene Matić
Kuss, Glastonbury Festival, 2024
© Rene Matić. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Arcadia Missa, London.
Rene Matić (* 1997, Peterborough, UK) wurde für die Ausstellung „AS OPPOSED TO THE TRUTH“ an der CCA Berlin, Deutschland (8. November 2024 bis 15. Februar 2025) ausgewählt. In Form von neu produzierten Fotografien, Installationen und Klangstücken befasst sich das Projekt „AS OPPOSED TO THE TRUTH“ mit Identität und Zugehörigkeit, Subkultur, Klasse und Familie. Tagebuchartige Schnappschüsse fangen alltägliche Momente mit intimer Poesie ein. Kombiniert mit gesammelten Gegenständen, Filmen und Tonaufnahmen fügen sich die Bilder zu einem lebendigen und vielschichtigen Portrait zeitgenössischen Lebens zusammen. Matićs künstlerische Praktiken, die sich über Fotografie, Film und Skulptur erstrecken, treffen in einem Punkt zusammen, den Matić als „rude(ness)“ [Ungezogen(heit)] bezeichnet – eine Evidenz und zugleich Würdigung des Dazwischen. In einem Klima des zunehmenden Rechtspopulismus und rein performativen Mitgefühls wendet sich Matić zwischenmenschlichen Beziehungen als Orte des Widerstands und der Sorge zu, der Art und Weise, wie Menschen füreinander einstehen und lernen, mit Verletzlichkeit zu leben – trotz oder gerade wegen der sogenannten „Wahrheiten“ unserer Zeit. Intimität, Verletzlichkeit und Begehren werden für Matić zu Werkzeugen des Überlebens.








