Fast schon traditionell zur Halbzeit des Festivals La Gacilly-Baden Photo trafen sich während der Medientage vom 10.bis 13. August wieder Foto- und Filmschaffende, Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Kuratoren, Autoren und Fachjournalisten aus der ganzen Welt in Baden bei Wien. Das Fotofestival, der mit seinem über sieben Kilometer langen Parcours aus berührenden, aufregenden und aufrüttelnden aber auch erschreckenden Fotoinstallationen entlang der Gassen, in den Parks und auf den Plätzen des verträumten Badeortes geht, führt nun schon zum sechsten Mal seinen Gästen von Juli bis Oktober im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen, wie fragil und gefährdet auf der einen Seite die unsere Lebensgrundlage bildende Natur ist und wie zerstörerische, kriegerische Auseinandersetzungen das Leben auf Erden zur Hölle machen.
Der lange Marsch der Medienschaffenden durch Baden: Teil 1
Es gibt ein Menschenrecht auf Schönheit – so zitierte Lois Lammerhuber, Initiator und Direktor des Festivals, den ehemaligen Chefredakteur des Magazins GEO und Mitautor des im September erscheinenden Buches „What Does Peace Look Like“, Peter-Matthias Gaede. Dieses Menschenrecht will Multitalent Lois Lammerhuber mit seinen vielfältigen Aktionen als Fotograf, Verleger, Autor, Kurator und Veranstalter zahlreicher Events rund um die Fotoszene einfordern. Dazu gehören nicht zuletzt auch das Fotofestival „La Gacilly-Baden Photo“ und der Jährlich im September am Weltfriedenstag vergebene „World Peace Award“, der nicht das Scheitern, sondern das Gelingen in das Blickfeld der Menschen rücken will.
Diese Kraft der Fotografie und die Schönheit der Natur zu feiern, dazu dienen auch die Medientage während des Festivals La Gacilly-Baden Photo. Sie bringen Kreative aus Kunst und Kultur mit den in Medien Tätigen zusammen; bilden eine breite und solide Basis für authentische Informationen, für die Auseinandersetzung mit den Zielen, Bedürfnissen und der Motivation der Kreativen und geben Einblicke in den Stand der aktuell angewendeten, bildgebenden Techniken und die Stile zeitgenössischer, visueller Kommunikation. Sie demonstrieren die Kraft der Bilder – wie Lois Lammerhuber bei der Begrüßung der Gäste es formulierte, die nicht nur Türen zu anderen Welten öffnet, sondern auch die Tür zu unseren Herzen.
Die Gartenroute
Der kürzlich mit dem Professorentitel geadelte Lois Lammerhuber lässt mit seinem leidenschaftlichen Engagement für die Fotografie Erinnerungen an den zu früh verstorbenen Professor Dr. Steinorth wach werden, der als Kodak Pressesprecher und gleichzeitig Justitiar des Kodak Konzerns die Mitglieder der Fotoszene über viele Jahre zu den Rencontres internationales de la photographie in Arles, Südfrankreich, lud , um ihnen eindrucksvoll die Kraft der Bilder zu vermitteln. Auch er hatte vor den Austausch und das Networking bei gutem Essen und vielen Getränken, den Besuch von Ausstellungen zur Pflicht gemacht. Die ‚Knochenbeilage‘ nannte er das stets.
In dieser Tradition lässt sich auch der lange Marsch durch die 30 Installationen der Ausstellungen in La Gacilly-Baden Photo entlang des über sieben Kilometer langen Fotografie-Parcours verorten, den Lois Lammerhuber Jahr für Jahr bei Wind, Sonne oder Regen anführt. In diesem Jahr fand der von mittags bis abends dauernde Marsch bei gefühlt 40 Grad Celsius statt. Sehr passend zum Leitthema „Orient“ des diesjährigen Festivals.
An jeder der 30 Stationen gab es eine kurze Einführung zu den gezeigten Werken – entweder durch die Künstler: innen selbst, von den Kurator: innen oder auch vom Leiter des Festivals Lois Lammerhuber. Es würde den Rahmen sprengen, jede der für sich außergewöhnlichen Präsentationen hier zu beschreiben und ihre Urheber: innen zu Wort kommen zu lassen. Dafür empfehlen wir als eine sehr gute Alternative den Blick in den ausführlichen, liebevoll gestalteten Katalog (zu bestellen für nur 24 Euro bei der Edition Lammerhuber unter https://edition.lammerhuber.at/buecher/orient.)
Der lange Marsch der Medienschaffenden durch Baden: Teil 2
Das Festival präsentiert das Thema Orient durch teils rebellische aber auch tief verwurzelte Hoffnungsbilder aus dem Iran, Afghanistan und Pakistan.“ Drei Länder, die alle zum persischen Kulturraum gehören. Drei mehrheitlich muslimische Länder mit indoeuropäischen Bevölkerungsgruppen, die den Gesetzen der Religion und des Obskurantismus unterworfen bleiben. Drei Länder, die wir schlecht kennen obwohl sie die Herzen aller Reisenden wie Marco Polo erobert haben. Drei Länder, deren Fotograf:innen die Verteidiger positiven Denkens und Botschafter des Umweltbewusstseins sind. Drei Länder, die Heimat einer jahrtausendealten Zivilisation sind, einer einzigartigen künstlerischen Kreativität und mutiger Autor:innen, die sich die Fotografie ausgesucht haben, um ihren Platz in der Gesellschaft zu definieren. Fotograf:innen, die aus diesen Ländern stammen, haben sich immer dafür entschieden, die Konventionen zu brechen, um einen innovativen Stil zu entwickeln und mit Humanismus durchdrungenen Blick auf Menschen und Götter zu schauen. Ehre, wem Ehre gebührt: Abbas, Gohar Dashti und Hamed Noori, Ebrahim Noroozi, Maryam Firuzi, Hashem Shakeri, Paul Almasy, Véronique de Viguerie, Fatimah Hossaini, Shah Marai und Wakil Kohsar, Sarah Caron. Sie nehmen die Betrachter: innen mit auf eine informative, erlebnisreiche, inspirierende und motivierende fotografische Reise zwischen Licht und Schatten.
Das Festival betrachtet es seit seiner Gründung als seine Aufgabe, die Schönheit der Natur ebenso zu zeigen wie die Notwendigkeit zu thematisieren, sie zu schützen. Durch das Prisma der Fotografie sollen die Herausforderungen einer nachhaltigen Welt ohne Naivität verdeutlicht werden. Dabei wird die manchmal dramatische Realität nie außer Acht gelassen. Alle Fotografien sind Zeichen eines unerschütterlichen Glaubens an die Zukunft. Die Fotograf:innen sind mutige Zeugen aber auch Teil der Bemühungen, unser schönstes gemeinsames Gut zu bewahren – den Planeten Erde: Mélanie Wenger, Bernard Descamps, Gabriele Cecconi, Stephan Gladieu, Money Sharma, Reporter ohne Grenzen, Brigitte Kössner-Skoff und Gerhard Skoff, Antonin Borgeaud, Jérôme Blin, Alisa Martynova, Maxime Taillez, Chloé Azzopardi.
Ein großartiges Projekt, schon im kindlichen Alter das Bewusstsein für Solidarität, Gemeinsamkeit und Toleranz zu wecken und zu stärken ist das bilaterale Fotoprojekt der Schulen des Morbihan in der Bretagne und in Niederösterreich , das in diesem Jahr dem Thema Öffnungen gewidmet war. Ob im wörtlichen oder übertragenen Sinne, der Begriff der Öffnung umfasst auch Kommunikation und Reisen zu neuen Orten oder Menschen.
Die Fotografie bleibt zweifellos das prägnanteste Werkzeug, um die öffentliche Meinung zu verändern und um Lichtblicke der Menschlichkeit zu bewahren. In dieser Tradition stehen auch die österreichischen Fotografen Rudolf Koppitz und Horst Stasny. Von Gregor Schörg zeigt das Festival den zweiten Teil seiner Arbeit über das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal. Die Ausstellung der Fotografien der niederösterreichischen Berufsfotograf:innen und die Ausstellung der Siegerfotos des mit fast 700 000 Bildern aus 170 Ländern größten Fotowettbewerbes der Welt, CEWEs „Our World is Beautiful“, runden das Festival ebenso ab wie die Rückschau auf 2022 in den Bildern des Artist in Residence Pascal Maitre. Ein weiteres fotografisches Highlight ist die Auftragsarbeit an Cathrine Stukhard, die das Weltkulturerbe von Vichy besuchte und in den Kontext der elf „Great Spa Towns of Europe“ der UNESCO stellte, zu denen auch Baden bei Wien zählt.
Die zunehmenden Bedeutung von Video und Film in der Fotografie unterstrich die Matineé mit der Vorführung des preisgekrönten Kurzfilms „The Provisional Death of Bees“ der iranischen Fotografin und Filmemacherin Maryam Firuzi und das anschließende Interview mit der Künstlerin und ihrem Mann durch Sara Soltani, das viele der Schwierigkeiten deutlich machte, sich als Frau in einer von Männern dominierten Welt künstlerisch auszudrücken. Maryam Firuzi studierte Kaligrafie und Mathematik und arbeitete als Software-Ingenieurin. Sie gewann bereits zweimal den Global Peace Award. Die Liebe zum Film teilte sie früh mit dem Vater, der sie oft ins Kino mitnahm. Manchmal auch zweimal am Tag. Interessant ist ihre besondere Bildsprache im Film, die durch symbolhafte Szenen und Gespräche im Hintergrund auf der Metaebene Bilder entstehen lässt, die sie im Film nicht zeigen darf.

Herzbewegend der Film von Maryam Firuzi „The Provisional Death of Bees“ ebenso wie die anschließende Diskussion mit ihrem Mann moderiert von Sara Soltani
Ein Höhepunkt der Medientage war erneut die Lange Nacht der Fotografie im Saal des Badener Casinos. Ein Ereignis, dass es verdient, öffentlich zugänglich gemacht oder zumindest per Video aufgezeichnet zu werden. Eine Podiumsdiskussion der Künstlerinnen Gohar Dashti, Fatima Hossaini, Maryam Firuzi, Veronique de Vinguerie und Sarah Caron, die mit Vincent Jolly vom französischen Blatt Le Figaro und Abdallah Elshamy vom Fernsehsender Al Jazeera drehte sich um das Thema „Was bedeutet es, als Künstlerin und Fotografin in einer von Konflikten geprägten Welt zu arbeiten?“ Eine Frage, die die Künstlerinnen am liebsten nicht mehr hören wollen. Das zeigt sich auch in ihren Werken: Diese zeigen meist Augenblicke der Schönheit in einer Welt von Unterdrückung, Unfreiheit und Gewalt, mit der und in der zu leben, sie sich zu arrangieren versuchen.
Unterhaltsam und doch ernsthaft, informativ und aufklärend interviewte Autor und Gründer der Internet Plattform PetaPixel Phil Mistry , den großartigen Fotografen und Aufklärer George Steinmetz zu seinen Bildern mit dem Thema „Feed the Planet“.
Obwohl sich manches länger als geplant hinzog und Festivaldirektor Lois Lammerhuber, mahnte sich kurz zu fassen und die lange Nacht der Fotografie nicht zu einer ewigen werden zu lassen, waren die Präsentationen, die erst weit nach Mittenacht endeten, keine Sekunde lang ermüdend.
Vor allem nicht der Beitrag „Wie macht man ein Bild, das etwas verändern könnte?“, für den Søren Pagter von der Dänischen Hochschule für Medien und Journalismus den Fotografen Brent Stirton interviewt hat, der bisher die meisten World Press Photo Awards, nämlich insgesamt 15, gewonnen hat. Faszinierende, aufwühlende und bewegende Bilder, die sich ins Bewusstsein und in das Gedächtnis eingraben und stets auch die Position des Fotografen spüren lassen.
Den Abschluss bildete ein Vortrag von Pablo Corral Vega, der erzählte, dass er seit seiner Kindheit von Bestien fasziniert war, besonders von mittelalterlichen. Und sich vorgenommen hat, welche zu kreieren. Mit Hilfe von KI ist es ihm nun eindrucksvoll gelungen, Welten mit Wesen zu erschaffen, die nicht von dieser Welt sind. Ein Blick in die Zukunft des Bildermachens, die auf magische Weise fantastische Kunstwerke zaubert, und sie per Prompt aus dem Kopf holt und in ein fotorealistische Bilddatei umwandelt.
Bis in die frühen Morgenstunden dauerte die Begegnung von Künstler: innen und Kunstinteressierten, die im „Hotel at The Park“ ausklang und wohl alle Teilnehmer noch heute in lebendiger Auseinandersetzung gefangen hält. Die Medientage haben ihr Motto eindringlich verdeutlicht: Nicht das Scheitern ist es, was in den Fokus gerückt gehört. Es ist das Gelingen und der Glaube daran, dass Veränderung unser Leben besser machen kann.
Text und Fotos: Heiner Henninges