Zur Halbzeit auf dem Weg zur Erreichung der 2015 von der UN definierten 17 Nachhaltigkeitsziele sieht es nicht so aus, als könnten alle Ziele erreicht werden. Dennoch ist Aufgeben keine Alternative! Das zumindest betonen die Initiatoren und Macher des Züricher Fotofestivals „Open Your Eyes“, die mit ihrem visuellen und wissenschaftlichen Ansatz die Stadt und die Welt aufrütteln wollen, mehr für eine bessere Welt zu tun.
Schon bei der Eröffnung des Festivals im Luxus Hotel Baur au Lac haben die Keynote-Sprecher, die Festivalmacher, Kuratoren und Wissenschaftler eindringlich, auf die dramatische Situation und den desaströsen Zustand unserer Umwelt und der Lebensbedingungen auf der Erde hingewiesen. Aber sie haben auch Mut und Hoffnung auf die Möglichkeit von Veränderungen gemacht. Die Referate Günther Dertori, Rektor der ETH, Daniel Dubas, ARE Beauftragter des Budesrates für die Agenda 2030 und Lois Lammerhuber Mitinitiator des Festivals, unterstrichen den Ernst der aktuellen „Conditio Humana“ und die Notwendigkeit, jetzt zu handeln, um Veränderungen einzuleiten. In diese Richtung zielten auch die Keynotes der Pulitzer Preisträgerin Reée C. Beyer zu ihrem Werk „Living on a Dollar a Day“ und James Balog “Eine Zeitkapsel aus dem Anthropozän“, auf die wir in einem weiteren Bericht noch eingehen werden.
Spannend war auch die von Claudia Zingerli (ETH) moderierte Podiumsdiskussion mit der Künstlerin Shana ParkeHatrrison, der Wissenschaftlerin Effy Vayena (ETH), dem Fotografen Randy Olson, dem Wissenschaftler Paolo Burlando (ETH) und Daniel Dubas, ARE Beauftragter des Bundesrates für die Agenda 2030.
Im Teil I des Rundgangs durch die Installationen der monumentalen Visualisierung der Notwendigkeit, sich für eine bessere Welt einzusetzen, haben wir Ihnen gezeigt, wie Wissenschaft und Fotografie die Nachhaltigkeitsziele 1 bis 4 auf dem Züricher Festival Parcours interpretieren.
Vom Lindenhof geht es auf dem Weg zu einer besseren Welt weiter durch die zauberhaften Gassen Zürichs zur Station 3, der Kirche St. Peter. Hier werden die SDGs 2, 7, und 10 eindringlich visualisiert. George Steinmetz (Sustainable Development Goals) Der amerikanische Fotograf George Steinmetz zeigt in einer monumentalen Präsentation seine Bildserie „Feed the Planet“ (Den Planeten ernähren). Der Hunger in der Welt nimmt trotz des Engagements für das Ziel 2 der Agenda 2030 zu. 2015 als die Agenda beschlossen wurde und gleich als zweites dort gefordert wird, den Hunger auf der Welt zu beenden waren 784 Millionen Menschen unterernährt. 2017 hungerten Millionen mehr, nämlich laut Statistik insgesamt 821 Millionen Menschen. Zwei Drittel der für Kinder relevanten globalen Nachhaltigkeitsziele können bis 2030 kaum erreicht zu werden, heißt es in einer aktuellen Meldung der UNICEF zur Halbzeit der Agenda 2030. Eine historische Kraftanstrengung sei nötig, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen.

George Steinmetz vor seiner großformatigen Instalation zum SDG 2 „Den Planeten ernähren“ am Aufgang zur Kirche St. Peter
Laut eines aktuellen UNICEF-Berichts sind zur Halbzeit der Agenda 2030 zwei Drittel der kinderbezogenen globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals / SDGs) nicht auf dem Weg gebracht worden. In dem am 18. 9. 2023 veröffentlichten Bericht „Progress on Children’s Well-Being: Centring child rights in the 2030 Agenda“ warnt UNICEF, dass bis heute lediglich elf Länder, die sechs Prozent der Bevölkerung unter 18 Jahren ausmachen – 150 Millionen Kinder insgesamt –, 50 Prozent der kinderbezogenen SDG-Ziele erreicht haben. Beim aktuellen Fortschrittstempo werden bis 2030 lediglich 60 Länder ihre Ziele erreichen. Das bedeutet, dass rund 1,9 Milliarden Kinder in 140 Ländern zurückbleiben würden, da in diesen Ländern lediglich 25 Prozent der Kinder weltweit leben.

Hansruedi Strasser, Präsident Open Your Eyes, im Gespräch mit George Steinmetz beim Festivalrundgang.

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Der amerikanische Fotograf George Steinmetz, hat eindringlich dokumentiert, wie unsere Nahrungsmittel heute produziert werden. Seit der Domestizierung von Pflanzen hat der Mensch rund 40 Prozent der Erde in Ackerland umgewandelt. Die Lebensmittelindustrie zeigt wenig Interesse, transparent zu machen, wie die Produktion abläuft. „Doch der Zugang zu diesen Informationen ist von zentraler Bedeutung für die persönlichen Entscheidungen, die wir in Bezug auf unsere Ernährung treffen“, heißt es im Katalog des Festivals. Über 40 Essays hat George Steimetz für National Geographic fotografiert. Er wurde für seine Arbeiten mit zahlreichen Preisen geehrt. Allein dreimal wurde er mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet.

George-Steinmetz-im Gespräch mit Claudia-Zingerli, ETH Zürich.
Wenn die Weltbevölkerung wie vorausberechnet weiter wächst müssen bis 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen ernährt und die weltweite Nahrungsversorgung voraussichtlich verdoppelt werden. „Feed the Planet“ ist ein auf zehn Jahre angelegtes Projekt, in dem untersucht wird, wie die Welt die rasch wachsende Herausforderung der Ernährung der Menschheit bewältigen und gleichzeitig unsere natürliche Umwelt und die Tierwelt schützen kann. Die ETH (Eidgenössische Hochschule) verfolgt für jedes der Nachhaltigkeitsziele teils mehrere lösungs-orientierte Projekte, die sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache auf der Festival-Webseite zurich.photo/eth-sdg dokumentiert sind.

Foto Jodi Cobb: Kinder die in Indien-an einem Teppich Webstuhl arbeiten bis zu 14 Stunden am Tag ohne Ruhepausen oder Bezahlung.

Randy Olson und Gerd Ludwig kommentieren die Arbeit von ihrer Kollegin kommentieren die Arbeit von Jodi Cobb.
Geradezu beklemmend sind die Arbeiten der amerikanischen Fotografin Jodi Cobb und die Fotografien von Ana Maria Arévalo Gosen, auf dem Platz vor der St. Peter Kirche. Jodi Cobb war eine der wenigen, erfolgreichen weiblichen Fotografen bei National Geographic. Sie widmet sich mit ihrer Arbeit der Sklaverei im 21. Jahrhundert. Sie hat als Fotografin für National Geographic in mehr als fünfundsechzig Ländern fotografiert und ihre Kamera eingesetzt, um in einer zunehmend vernetzten Welt Fragen zur Conditio Humana zu stellen. Die Frage die sie bei den Bildern für ihre Ausstellung vor der Kirche St. Peter bewegt, lautet: Wer sind die Millionen von Sklavinnen und Sklaven der Welt? Wer steckt hinter dem Menschenhandel, der zweitgrößten illegalen Aktivität der Welt, und wer versucht zu helfen? Heute leben weltweit mehr Menschen in Sklaverei als in den vier Jahrhunderten des afrikanischen Sklavenhandels zusammen. Jodi Cobb einjähriges Projekt untersucht dieses Paralleluniversum, in dem Menschen gekauft und verkauft, gefangen gehalten und für Profit ausgebeutet werden.

Ana-Maria-Arevalo-Gosen im Interview mit Karin Rehn Kaufmann, Leica Camera. 2021 wurde die Fotografin mit dem Leica Oskar Barnck Preis ausgezeichnet.
Ana María Arévalo Gosens Präsentation ist eine erschütternde, aber zutiefst menschliche Erkundung des Lebens inhaftierter Frauen in Venezuela und El Salvador. Die in Caracas, Venezuela geborene und heute in Madrid, Spanien lebende Fotografin dokumentiert seit 2017 die harte Realität des Lebens in 15 Gefängnissen und Internierungslagern Ihre Bilder zeigen eine Welt in klaustrophobisch überfüllten Zellen, geprägt von Gewalt und einem extremen Mangel an Hygiene, Verpflegung und medizinischer Versorgung. Vor allem aber verdeutlicht die Serie den Mangel an Respekt und Gerechtigkeit für diese Frauen, deren Leben meist auch nach ihrer Entlassung und Verbüßung der Strafen von einem ständigen, gesellschaftlichen Makel geprägt ist.

Foto Ciril Jazbec Eistupa in Gya, Ladakh, Indien
Einen kleinen Zwischenerfolg auf dem Weg zu dem Nachhaltigkeitsziel 7, das den Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für Alle fordert, hat der slowenische Fotograf Ciril Jazbec dokumentiert. Seine Bildserie „Bauen Sie eigene Gletscher“ am Aufgang zur Kirche St. Peter in Zürich zeigt den Kampf gegen die Wasserknappheit in den Himalaya-Bergregionen von Ladakh. In den letzten Jahrzehnten sind dort die Menschen zunehmend zu Klimaflüchtlingen geworden, die gezwungen sind, ihre Täler aufgrund von Wasserknappheit zu verlassen. Auch die Gletscher im Himalaya sind zurückgegangen, und die Wasserknappheit war noch nie so groß wie heute.
Vor einigen Jahren sorgte der Einfallsreichtum von Sonam Wangchuk, einem Ingenieur und Innovator aus Ladakh, für einen Hoffnungsschimmer. Im Jahr 2015 entwickelte er den Prototyp von Eisstupas, künstlichen Gletschern, die tibetischen religiösen Stupas ähneln, die das Schmelzwasser des Winters speichern und es im Frühjahr, wenn das Wasser am meisten gebraucht wird, langsam für die Vegetationsperiode freigeben. Das Bild von Ciril Jazbec zeigt so einen Eistupa, den von eine Jugendgruppe im nordindischen Dorf Gya gebaut hat. Im Sockel dieses Tupas haben sie ein Café eingerichtet. Mit dem Erlös nahmen sie den Dorfältesten mit auf eine Pilgerreise.

Ciril Jazbec im Interview mit seinem Vorbild und Lehrer Chris de Bode.
Die Eisstupas sollten nicht als Lösung für die Herausforderung betrachtet werden. Sie stehen für einen Versuch der Berggemeinden im Himalaya, die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen.
Ciril Jazbec ist ein 1987 in Slowenien geborener Dokumentarfotograf. Bevor er nach London zog, studierte er Management in Ljubljana. Am London College of Communication erwarb er einen Master-Abschluss in Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. Seit 2014 arbeitet er als Fotograf für das National Geographic Magazine. Dabei konzentriert er sich auf Gemeinschaften, die mit den Auswirkungen der Globalisierung und des Klimawandels konfrontiert sind. Für seine Arbeit hat er zahlreiche Preise gewonnen, darunter einen World Press Photo Award für „Make Your Own Glaciers“.

Ciril Jazbecs Serie „Bauen Sie Ihren eigenen Gletscher“ am Aufgang zur Kirche St. Peter.
Diese Ungleichheit in und zwischen den Ländern soll durch das SDG 10 verringert werden. In vielen Ländern fließt ein immer größer werdender Anteil des Einkommens den reichsten 1 % zu. Auf die Ärmsten 40 % entfallen weniger als 25 % des Gesamteinkommens. Als Quelle gibt die ETH die Webseite des Regionalen Informationszentrums der Vereinten Nationen an.
Vera Mercer und Dominic Nahr dokumentieren an der 4. Station des Festivalrundgangs das 123. Nachhaltigkeitsziel, nämlich nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen. Die ETH macht in ihrem Kommentar zu diesem Ziel im Festival Katalog darauf aufmerksam, dass der globale Material-Fußabdruck schneller wächst als die Bevölkerung und die Wirtschaftsleistung.
- 1990: 43 Milliarden pro Tonne
- 2000: 54 Milliarden pro Tonne
- 2017:92 Milliarden pro Tonne2060: geschätzt 190 Milliarden pro Tonne

Vera Meercer Foto Fische, 2014 aus der Ausstellung „Vom Werden und Vergehen – Lebenskust und Vanitas“

Kuratorin Gisela Kayser im Gespraech mit Vera Mercer.
Die Stillleben von Vera Mercer auf dem Münsterhof unter dem Titel „Vom Werden und Vergehen – Lebenslust und Vanitas“, kuratiert von Gisela Kayser, drehen sich stets um Lebensmittel, angefangen vom Angebot in seiner rohesten Form, wie Schweinehälften auf dem Markt bis hin zur angerichteten Mahlzeit im Restaurant. Gleichzeitig geht es ihr um eine gewisse Sinnlichkeit , wobei die mitunter überbordenden, barock anmutenden Inszenierung selten ins Dekadente umkippen. Im Festivalkatalog heißt es: “Mit großer Intensität arbeitet sie inhaltliche und formale Gegensätze heraus: von Licht und Schatten, von Realismus und Illusion, von Tradition und Moderne und von Schönheit und Schrecken, weil neben aller Sinneslust eben doch abgehackte Tierköpfe und –füsse kalte Hinweise auf deren illusionslose Verwertung geben.“

Täglich bringt Evelin die Bio-Milch per Lastwagen von der Alp hinunter ins Tal. Foto: Dominic Nahr
Auf dem Münsterhof findet sich auch die Ausstellung von Dominic Nahr, dessen Familie Biolandwirtschaft betreibt. Der Fotograf hat mit seiner ausgestellten Reportage den Weg eines Schweizer Bio-Käses von seinem Ursprung bis zum Verbraucher festgehalten. Der heute 40zigjährige arbeitet als Journalist und Fotograf bei der Neuen Züricher Zeitung (NZZ). Seine Fotografien wurden bereits auf anderen bedeutenden Festivals, darunter Arles und Perpignan gezeigt. Der gebürtige Schweizer wuchs in Hongkong auf. Sein Studium schloss er 2008 an der School of Image Arts der Reyerson University in Toronto, Kanada mit einem Bachelor of Fine Arts ab. 2009 erhielt er den Leica Oskar Barnack Newcomer Award.
Lesen Sie auch unsere Berichte Teil I und Teill III über die Präsentationen auf dem Fotofesival „Open Your Eyes“ in Zürich.