Wieder einmal, welch ein Glück, empfängt Arles in der Provence noch bis zum 29. September bei wunderbaren Klima alle Freunde der Fotografie – so vielfältig wie erwartet und international aufgestellt. „BENEATH THE SURFACE“ bringt neue Perspektiven von internationalen Fotografen, Künstlern und Kuratoren zusammen. Die Stimmung stimuliert nicht nur Fotografen, Galeristen, Festivalmacher, Verlage, Journalisten sondern auch sehr viele Anhänger hochwertiger Fotoarbeiten. Neben dem offiziellen Teil mit 27 großen, opulenten Präsentationen in teils spektakulären Räumen überraschen ebenso die 96 Ausstellungen der OFF-Veranstaltungen, die nicht nur – wie erwartet – junge Positionen zeigen.
Nicht ohne Grund ziert ein Motiv der Serie JOURNEY TO THE CENTER von Cristina De Middel den Katalogtitel und begleitet den Besucher auf Plakaten durch Arles. In der Eglise Sainte-Anne, direkt am zentralen Place de la Republique gelegen, taucht der Betrachter tief bewegt in das Thema Migration zwischen Mexiko und den USA ein und verlässt die Kirche nachdenklich berührt.
Gleich nebenan im Hotel de Ville geht es in die Tiefe: Die für viele Besucher spektakulärste Ausstellungsfläche, die unterirdischen Fundamente des früheren römischen Forums „ Cryptoportiques du Forum“, beherbergt eine durch Sturm und Wasser beschädigte Bildserie der französischen Fotografin Sophie Calle, dessen weiterer Verfall zu beobachten ist.
Nicht verpassen sollte man unbedingt die im LUMA Arles in Zusammenarbeit mit Joel Coen zusammengestellte Sammlung von Arbeiten des amerikanischen Fotografen Lee Friedlander. Der Weg lohnt sich, allein schon um das vom kanadischen Stararchitekten Frank Gehry erschaffene Gebäude „La Tour“ bewundern zu können – das Guggenheim-Museum in Bilbao läßt grüßen.
Eintauchen in eine andere, kulturelle Welt, eine von unserer Sehweise abweichende Interpretation selbst alltäglicher Dinge, dies gleich fünf Ausstellungen japanischer Künstler. I`M SO HAPPY YOU ARE HERE vereint vielfältige, erstaunliche Arbeiten japanischer Fotografinnen von 1950 bis heute.
Sehenswert ebenfalls die Ausstellung im Salle Henri-Comte: BELONGINGS von Ishiuchi Miyako zeigt exemplarisch am Beispiel von ihrer Mutter, Frida Kahlo und Hiroshima was an persönlichen Dingen verbleibt, die nach dem Tod den Angehörigen als Andenken dienen.
Dokumentarisch arbeitet REFLECTION – 11/03/11 die Folgen des Tsunami-Unglücks in Japan auf. Der 1988 verstorbene Uraguchi Kusukazu zeigt uns mit AMA das Leben der „Frauen am Meer“ in klassischen Schwarzweißaufnahmen.
Einen Besuch wert ist auch die Zusammenstellung TRANSCENDANCE des japanischen Fotofestivals Kyoto Graphie mit sechs jungen, japanischen Talenten – die Kirschblüten ziehen die Besucher in ihren Bann.
Bei so vielen, unterschiedlichen Ausstellungsformaten bleibt eines klar ersichtlich: Die aktuelle Fotografie erarbeitet sich die Themen mit einer extrem breiten Vielfalt an Techniken. Die Bandbreite reicht von vielen analogen Verfahren bis hin zu manuellen Bearbeitungen der einzelnen Oberflächen, von dokumentarischen Schwarzweißabzügen bis hin zu abstrakten Umsetzungen auf unterschiedlichen Oberflächen. Erstaunlicherweise überwiegt die klassische, hochwertig gefertigte Fotoarbeit gegenüber dem KI generierten Bild.
Zwei Beispiele: Boris Eldagsen zeigt seine allseits bekannte Arbeit des Sony Awards, doch nachhaltiger bleiben die Arbeiten von Bruce Eesly im Gedächtnis. Er beschreibt in Bildern die Ergebnisse der Genmanipulation mit Hilfe von scheinbar in den 60er Jahren entstandenen Fotografien, die erst auf dem zweiten Blick ihre ganze durch KI erschaffene Absurdität preisgeben.
Natur in der Natur zeigt die einzige Outdoor-Veranstaltung im Jardin d`Ete: Marine Laniers HANNIBAL`S GARDEN entführt uns in die höchste Gartenanlage Europas, den Lautaret Garden auf 2100 m.
Christoph Wiesner und seine Crew haben ein Statement geschaffen, welches in vielerlei Hinsicht die aktuellen Einflüsse auf unser Leben beleuchtet. Doch anders als auf der diesjährigen Biennale di Venezia in Venedig überwiegt nicht nur die sehr dunkle Sicht auf die Zukunft, sondern die in der Stadt gezeigte Fotokunst regt teils auch zum wertfreien Innehalten und genussvollem Betrachten ein.
Michael Nischke