Vom 15. März bis 18. Mai 2025 zeigt das Fotomuseum WestLicht in Wien die Ausstellung „All Tomorrow’s Parties – twen das Magazin der Sechziger“
Provokant, sinnlich, neu! Ende der 1950er-Jahre platzte eine Zeitschrift in den biederen deutschsprachigen Illustriertenmarkt, deren Einfluss auf die nachfolgende Publizistik kaum größer hätte sein können. twen, ein in tiefes, existentialistisches Schwarz gehülltes Heft, schrieb gegen das Alte an, setzte auf Hedonismus, sexuelle Befreiung, Konsum und Jugendkultur und prägte so das kulturelle Denken einer ganzen Generation. Die radikale Gestaltung von Artdirector Willy Fleckhaus machte twen auch international zur Blaupause für eine Reihe von Magazinen: Nova und The Face in England, Actuel in Frankreich oder der Wiener in Österreich wären ohne die von 1959 bis 1971 in Köln erschienene Zeitschrift kaum denkbar.

Charlotte March
Donyale Luna mit Schmuck von Boutique Darling
1966
© Deichtorhallen Hamburg/ Harald Falckenberg – Nachlass
Charlotte March
Das Fotomuseum WestLicht widmet dem legendären Printmedium die erste umfangreiche Schau in Österreich. Die wegweisende Gestaltung von twen und die anhaltende Aktualität seiner Themen zeigt die Ausstellung, die exklusiv für diesen Anlass und in Kooperation von WestLicht und dem Münchner Kurator Hans-Michael Koetzle entwickelt wurde, anhand ausgewählter Fotografien, Doppelseiten, Heftcover und Bildstrecken ikonischer Fotografinnen und Fotografen wie Bruce Davidson, Will McBride, Peter Brüchmann, F.C. Gundlach, Charlotte March, Horst H. Baumann, Ulrich Mack, Art Kane, Barbara Niggl oder Thomas Hoepker.
Zeitlich zwischen Beatbewegung und Studentenprotest angesiedelt, übersetzte twen jugendliches Aufbegehren in große Optik. Fleckhaus erhob die Doppelseite zum eigenständigen Medium mit über den Bund laufenden, angeschnittenen Fotos, immer wieder unbedrucktem Raum und bildhaft eingesetzter Schrift. Unter seiner Regie wurde das Heft mit Bildstrecken von Irving Penn, Bruce Davidson oder William Klein zum Schaufenster internationaler Kamerakunst und zum
Sprungbrett für junge Talente wie Charlotte March, Christa Peters oder Will McBride, den Illustrator Heinz Edelmann oder den Journalisten Günter Wallraff.
twen war mit Sicherheit die meistbeachtete, auch folgenreichste Tat des neben Otl Aicher bedeutendsten deutschen Grafikdesigners nach 1945: Willy Fleckhaus (1925–1983), der 2025 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Die Bilder, die Themen, die Art, wie sie der etwa auch für die Gestaltung der Suhrkamp-Buchreihen bekannte Gestalter ins Blatt rückte – das alles hatte zwar internationale Vorbilder. In seiner Mischung aber, in der Weise auch, wie grafische und typografische Errungenschaften nochmals gesteigert wurden, war twen einzigartig, war Avantgarde.

Thomas Hoepker
Aus dem Zyklus Im Bauch von New York, 1961
aus twen 1/1961
© Thomas Hoepker / Magnum Photos, courtesy Sammlung
Hans-Michael Koetzle
In der Themenwahl gab sich die Zeitschrift, vor allem in den Anfangsjahren, ausgesprochen politisch, pazifistisch, antinazistisch, international und aufgeklärt. Mit Titeln und Storys zu jugendlichem Aufbegehren, zu Abtreibung, APO (Außerparlamentarische Opposition), Gleichberechtigung, Homosexualität, Rassismus und Antisemitismus zog man gegen überkommene Ideologien und Normen zu Felde, gegen falsche Ethik und verkrustete Moral. Gefeiert wurde alles Neue und Moderne, etwa die spektakuläre Aktion „Liebe per Computer“, die twen – weit vor Tinder und Co. – in vier Staffeln zwischen 1967 und 1969 durchführte und die auf ein enormes Echo bei den jungen Lesern und Leserinnen stieß. Einen Skandal und Antrag auf Indizierung wegen der Verletzung des „natürlichen Schamgefühls junger Menschen“ produzierte etwa Will McBrides 1960 in twen veröffentlichtes Foto seiner – vollständig bekleideten – schwangeren Frau Barbara. Jahrzehnte später lieferte das Bild die Vorlage für Demi Moores ikonisches Vanity Fair-Cover mit Babybauch, fotografiert von Annie Leibovitz, das wiederum eine Welle von Nachfolgerinnen inspirierte – von Rihanna über die Kardashians bis zu Beyoncé.

Michael Friedel
Peter Handke, Beatles-Konzert, Essen, 1966
© Michael Friedel, courtesy Sammlung Hans-Michael Koetzle
twen war nicht Illustrierte und nicht Fotomagazin, nicht Jugend- und nicht Kulturzeitschrift. Mit twen erschien, angesiedelt zwischen den Kategorien, ein Blatt neuen Typs: von bestechender Optik, kompromisslos modern gestaltet, provokant in den Themen, vergnüglich im Ton, optimistisch und voller Lust auf Leben. Obwohl die Zeitschrift selten mehr als 100.000 Exemplare pro Monat verkaufte und – zumindest in der Anfangszeit – dezidiert an ein jugendliches Publikum adressiert war, fand sie doch rasch die Aufmerksamkeit weiter Kreise, die das Heft wahlweise als Ausdruck einer neuen Zeit werteten oder aber als Symbol des sich abzeichnenden allgemeinen moralischen und sittlichen Verfalls. twen war das Kultobjekt der Dekade und zugleich für viele der Inbegriff des kulturellen Niedergangs. Das Blatt wurde geliebt oder gescholten, mit internationalen Preisen für Gestaltung überhäuft und auf den Index für jugendgefährdende Schriften gesetzt. Dazwischen schien es nichts zu geben. Wie unter einem Brennglas spiegelt twen den kulturellen Aufbruch der 1960er-Jahre, seine Errungenschaften wie seine Widersprüche, die bis in unsere Gegenwart hineinwirken.
Der Titel der Ausstellung ALL TOMORROW’S PARTIES ist dem gleichnamigen Song von The Velvet Underground & Nico entliehen. twen hatte Model und Sängerin Nico bereits 1961 auf dem Cover gezeigt, zu diesem Zeitpunkt freilich noch als weitgehend unbekanntes Fotomodel. 1969 brachte das Heft eine Nachfolgestory, in der es den Weg von Christa Päffgen alias Nico von Köln nach New York und mit Andy Warhols Factory ins Zentrum der 1960er-Jahre-Avantgarde nachzeichnete – eine Erfolgsgeschichte ganz nach dem Geschmack der Zeitschrift.