Die letzte Etappe entlang des Ausstellungsparcours des diesjährigen Festivals La Gacilly-Baden Photo führte den Tross der Medienschaffenden am Spätnachmittag bis zum frühen Abend in das Rosarium des Doblhoffparks. Unter den zum größten Teil noch verbliebenen Teilnehmer war trotz der weiter herrschenden Hitze und der Reizüberflutung mit Fotografien von Weltklasse kaum an Aufgeben zu Denken. Einige haben sich absentiert und selbstständig auf den Rest des langen Marsches durch die Ausstellungen begeben, da sie sich kaum noch für aufnahmefähig hielten. Der verbliebene harte Kern jedoch folgte der Führung und genoss die restlichen Kommentare der Bildautoren beziehungsweise der Kuratoren des Festivals.
Unter den durch sieben Jahre, sieben Kilometer langen Märschen gestählten verbliebenen Mitwanderer kursierte bereits der ironische Spruch.“ Nur die ganz harten schaffen es auch durch den Rosengarten“. Und sie haben auch gelernt: dass es sich oftmals lohnt. Nicht etwa, weil der Festival Direktor Professor Lois Lammerhuber das Beste für den Schluss aufgehoben hätte oder weil ja am Ende noch das traditionelle Gruppenfoto geschossen wurde, sondern ganz einfach, weil jede der hochkarätigen Ausstellungen des Festivals es verdient hat, gesehen zu werden.
Was ist es, was die an die zweihundert Medienschaffenden aus aller Welt durchhalten lässt? Natürlich sind es in erster Linie die großartigen Fotografien die jeden fesseln. Aber das Festival La Gacilly-Baden Photo ist mehr. Es macht sich leidenschaftlich stark dafür mit Weltklasse Fotografie die Schönheit aber auch die Verletzlichkeit der Erde, ihrer Natur und Lebewesen zu zeigen, zu ihrem Schutz aufzurufen und Wege aufzuzeigen wie sich der Raubbau an unseren Ressourcen begrenzen lässt.
Nach den vielen überdimensionalen Installationen folgt im Rosenlaubengang des Rosariums im Doblhoffpark eine fast romantisch anmutenden Ausstellung mit Kabinettcharakter: die Arbeiten von Nazli Abbaspour mit dem Titel „Geister der Erinnerung“. Die rosenumrahmten, kleinformatigen Fotografien der iranischen Künstlerin Nazli Abbaspour stellen in romantischen, nostalgischen Bildern die Frage danach, woher wir kommen. Sie nutzen die Fähigkeit des Mediums, einen durch die Zeit reisen zu lassen, um durch sie die Vergangenheit zu erkunden. Wenn die Menschen, denen wir unsere Fragen stellen wollen, längst verstorben sind, können uns Fotografien manchmal Antworten geben. Diese Fähigkeit der Fotografie nutzt Nazli Abbaspour mit Bildern aus alten Familienfotoalben. Sie zeigt, dass diese oft vergessen auf Dachböden schlummernden verblichenen Bilder und ihre unvollständig, auf die Rückseite gekritzelten Notizen die Geister ihrer Urheber zum Leben erwecken. Zwei Serien mit den Titeln „Reincarnation“, wo die Künstlerin durch die Montage eines Schmetterling versucht die Wiedergeburt dessen darzustellen, was sie selbst verloren hat, und „The Enigmatic Margin of Existence“ wo sie mit Hilfe der Fotomontage Ruinen oder verlassene Gebäude mit imaginären Bewohnern bevölkert und so den Glanz und die Pracht einer verschwundenen Welt erschafft, lassen im Badener Rosengarten eine Atmosphäre entstehen, die dem Erwachen aus einem Dornröschenschlaf gleicht.
Die Werke der in Teheran ausgebildeten, multidisziplinären Künstlerin sind sowohl in ihrem Heimatland als auch in Europa ausgestellt worden. In ihrem gesamten bisherigen Werk hat sie stets Gegenwart und Vergangenheit miteinander verknüpft und versucht eine Verbindung zwischen der Welt der Toten und der Lebenden herzustellen. Es ist ein Dialog zwischen dem Heute und dem Gestern, mit dem uns die Fotografien in eine vergessene Epoche – aus ihrem eigenen Leben und dem Leben anderer – entführt.
Einen Hauch von Ewigkeit vermitteln auch die am angrenzenden Schloßparterre im Doblhoffpark ausgestellten, geradezu mystischen Schwarzweißbilder von Beth Moon mit dem Titel „Die unsterblichen Bäume“. Die Bäume, die von der amerikanischen Fotografin Beth Moon in ihren Fotografien verewigt wurden, sind ungewöhnlich groß und außergewöhnlich alt oder aber sie haben eine besonders bemerkenswerte Geschichte. Ihre Motive findet die Fotografin, deren Arbeiten schon über siebzigmal auf der ganzen Welt ausgestellt wurden in alten Geschichtsbüchern, botanischen Traktaten und Zeitungsartikeln. Hinweise erhielt sie auch aus Gesprächen mit Reisenden. Im Laufe der Jahre hat sie dieses Projekt auf der Suche nach den Waldriesen, die sie so faszinierend findet, rund um den Globus geführt: USA, Europa, Asien, der Nahe Osten, Afrika…
Aber Beth Moon interessiert sich nicht nur für die Berühmtheiten des Waldes. Die meisten Bäume, die sie fotografiert, stehen mitten im Nirgendwo, ohne jegliche Schilder oder Etiketten, die ihre Geschichte erzählen. Sie haben dank ihrer Abgeschiedenheit oder dank der Existenz eines Schutzgebiets oder Naturreservats überlebt. Es handelt sich um einzigartige, bemerkenswerte Exemplare. Dies gilt für den Sokotra-Drachenbaum, der auf einer Inselgruppe im Jemen beheimatet ist und aufgrund der Farbe seines Saftes, der in bestimmten traditionellen Heilmitteln verwendet wird, auch als „Drachenblutbaum“ bezeichnet wird. Oder auch für die Borstenkiefern in Kalifornien, von denen einige Exemplare mehr als 4 000 Jahre alt sind. Ziel der Fotografin ist es, uns mit ihrer Bilderserie die enge Verbindung zwischen unserem Planeten und diesen uralten Bäumen bewusst zu machen.
Auf der Wiese bei der Beethoven Statur im Doblhoff Park zeigt Joana Choumali ihre Arbeiten mit dem Titel Träumereien. Die beiden Bildserie Serien von Joana Choumali spiegeln Erfahrungen der Künstlerin wider, die eine Reise in das Herz der Kindheit, auf halber Strecke zwischen Exuperys „Der kleine Prinz“ und einem traumhaften Märchen beschreiben.
In der Arbeit „Ça va aller – Das wird schon wieder“, hat die Künstlerin von der Elfenbeinküste, deren Arbeiten bereits in zahlreichen Ausstellungen wie etwas bei Paris Photo und im Musée du quai Branly gewürdigt wurden, nur ein Smartphone benutzt, um die melancholische Stimmung zu dokumentieren, die ihre Heimatstadt nach dem Terroranschlag auf den Badestrand von Grand-Bassam im Jahr 2016 erfasste. Diese Technik erlaubte es ihr, die trauernde Menschen diskreter und respektvoller zu fotografieren, wodurch sie sich weniger aufdringlich fühlte als mit einer herkömmlichen Kamera.
„In einem Land, in dem psychische Traumata und psychische Erkrankungen kaum erkannt und noch weniger behandelt werden, werden schwierige Gespräche schnell mit einem „ça va aller – Das wird schon wieder“ – abgebrochen“, heißt es im Festivalkatalog. Die pastellfarbenen Drucke der Serie sollen aber auch Bilder der Hoffnung sein: Eine Möglichkeit, die Gewalt der Welt abzuwehren.
In der zweiten Bildserie „Alba‘hian“, was in der Sprache der Anyin „Das erste Licht des Tages“ bedeuet, hat Joana Choumali ihr morgendliches Training in eine künstlerische Schaffensphase verwandelt. Jeden Tag, wenn sie aufstand, um spazieren zu gehen, fotografierte sie ihre Umgebung, wie sie sich zwischen 5 und 7 Uhr morgens langsam offenbart. Auf diese Bilder legt sie eine Kombination aus Collage, Stickerei, Quilting und Fotomontage und schafft so Wandbilder, die die verschwommene Sprache der Träume widerspiegeln, die uns noch einige Stunden nach dem Aufwachen beschäftigen. Diese Kreationen sind geprägt von Wundern, Sehnsüchten, Freuden und Schmerzen, zwischen Realität und Fantasie.
„Offene Augen für die Welt“ heißt die Ausstellung des Japaners Yasuyoshi Chiba, der als leitender Fotograf für Ostafrika und der Region des Indischen Ozean bei der Agence France Presse (AFP) tätig ist. Seine Fotografien sind Beispiele für einen journalistischen Blick voller Menschlichkeit auf unsere sich ständig verändernde Welt. Seine Laufbahn als Fotograf begann er bei Asahi Shimbun, einer der größten Tageszeitungen Japans. Seit 2007 lebt er in Kenia, wo er nach den Wahlen die Gewalt im Land zu dokumentierte. Seine journalistische Genauigkeit und sein fotografisches Talent machten ihn schnell bekannt und brachten ihm den renommierten Bayeux-Calvados-Normandie-Preis für Kriegsberichterstatter ein.
Von Nairobi aus hält der 1971 geborene Bildjournalist für die Agence France Press alle Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent fest. Er dokumentierte Ereignisse des Jahr für Jahr von schmerzhaften Herausforderungen heimgesuchten Kontinents wie endemischer Dürre, Gewalt innerhalb von Stammesgemeinschaften, Landflucht und Umweltkrisen . Er wird Zeuge der Turbulenzen des Zeitgeschehens. Für sein Foto eines jungen Studenten, dessen Gesicht von Mobiltelefonen erhellt wird, während er bei einer Demonstration in Khartum, Sudan, ein Gedicht vor einer Menschenmenge vorträgt.
Im Namen der Mutter heißt eine ungewöhnliche Dokumentation der in Russland geborenen Fotografin Nadia Ferroukhi über Gesellschaften, in denen, zumindest teilweise Frauen tonangebend sind und Schlüsselpositionen, wie die Verwaltung des Reichtums, die Organisation von Zeremonien und wichtige Entscheidungen über die Familie oder die Gemeinschaft in den Händen halten. Wo diese so einzigartigen Gemeinschaften, in denen Frauen das Rückgrat der Gesellschaft bilden und wo die zentrale, weibliche Rolle als solche respektiert wird, geht es in dem Langzeitprojekt, das von starken Frauen geführte Gesellschaften in Kenia, Indien, Algerien, China und Mexiko zeigt. Das Besondere, was sie während ihrer langjährigen Recherchen bei all diesen Frauen bemerkte, ist die Tatsache, dass diese bei der Ausübung ihrer Macht sehr darauf achten, ein faires Gleichgewicht zu wahren, indem sie die Männer integrieren, ohne sie jemals zu beherrschen. „Ein Denkanstoß für alle, die darauf bestehen, dass das Patriarchat oder ganz allgemein die hegemoniale Macht des einen Geschlechts über das andere die einzige Möglichkeit des Zusammenlebens ist.“, heiß es im Festivalkatalog.
Nadia Ferroukhi zeige Schönheit, wo sie furchtbar fehlte, sagte der Modeschöpfer und Ästhet Karl Lagerfeld einmal über die in Paris lebebde Fotografin. Sie ist seit Jahrzehnten in der Kunstwelt präsent. Ihre Werke wurden weltweit ausgestellt und von einigen der renommiertesten öffentlichen und privaten Sammlungen erworben. Sie ist Mitglied des exklusiven Clubs der großen Porträtisten – eine Kunstform, die sie mit einer Kombination aus Gespür und akribischer Liebe zum Detail anpackt und so ein Universum inszeniert, zu dem nur sie den Schlüssel besitzt.
Die 2004 beim Festival La Gacilly-Baden Photo präsentierte Auswahl aus vier ihrer jüngsten Werke untersucht ihre Gedanken über den weiblichen Körper: seine Entwicklung, manchmal seine Wiedergeburt und vor allem seine Beziehung zur Natur. Weiblichkeit ist für Vee Speers ein Thema, das sie seit Beginn der 2000er Jahre verfolgt. Das Langzeitprojekt zieht sich als ständiges Thema durch ihr gesamtes Werk.
Auf der Eulenwiese im Doblhoffpark zeigt Evgenia Arbugaeva ihre geheimnisvollen nächtlichen Aufnahmen mit dem Titel Hyperborea. Mit ihrer großartigen Bilderserie wollte die Fotografin die düstere Atmosphäre der Polarnacht, aber auch die Schönheit der Einsamkeit als Meditationsraum einfangen.Mit Hyperborea nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Tiefen der Nacht. Die endlose Nacht der russischen Arktis, wo Wochen ohne einen einzigen Sonnenstrahl vergehen können. Es sind auch schlaflose Nächte, durch diese seltsam magischen bis mystischen Lichter am Himmel. Daher entlehnte sie auch den Titel der Arbeit aus der griechischen Mythologie, wobei Boreas, den Nordwind und die Hyperboreer diejenigen bezeichnen, die jenseits des kalten Atems von Boreas leben.
Die russische Fotografin, Evgenia Arbugaeva, die in der abgelegenen sibirischen Hafenstadt Tiksi lebt und an der Küste der Laptewsee aufgewachsen ist, unternimmt mit ihren Bildern eine Suche nach diesen Hyperboreern mit, die sie zunächst in der Person von Slava trifft, einem frommen Mann, der in der Einsamkeit einer isolierten Wetterstation im hohen Norden lebt. Sie zeigt uns auch das Leben der Wärter eines Leuchtturms auf der Halbinsel Kanine, die dort mit ihren Hunden leben. In Dikson, einer Geisterstadt, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Dunkelheit versank und verlassen wurde, fängt Evgenia Arbugaevas ein surreales Polarlicht ein, das die Verkörperung nordischer Gottheiten gleicht. In der Region Tschukotka traf die Fotografin auf die Gemeinschaft der Tschuktschen, die ihre alten Traditionen aufrechterhalten, indem sie sich vom Land und vom Meer ernähren, mit Walross- und Walfleisch als Grundnahrungsmittel.
„Dieses Werk an der Schnittstelle zwischen Dokumentation und magischem Realismus zeigt uns die Zerbrechlichkeit und Widerstandsfähigkeit der Arktis und ihrer Bewohner. Mit einer visuellen Sprache, die dem Fotojournalismus entlehnt ist und sich dennoch immer wieder auf Mythen und Fabeln beruft, zeigt Evgenia Arbugaeva die unaussprechlichen Verbindungen zwischen Himmel und Erde, Licht und Dunkelheit, Natur und Kultur“, würdigt der Festivalkatalog ihr Werk.
Das Dinner auf der Terrasse des Doblhoff Café-Restaurant am Seerosenteich sorgte am inzwischen lauen Sommerabend für Entspannung und weiteren Austausch der internationalen Medienschaffenden, Veranstaltern , Kuratoren und Fotografen. Einig waren sich alle darüber, dass sich die Anstrengung des sieben Kilometer langen Kunstparcours mehr als gelohnt und viele Augenöffner gezeigt hat, das sich die Fotokunst als ein perfektes Medium anbietet, die Welt für Alle ein wenig besser werden zu lassen. Das bestätigten auch die anhaltenden Standing Ovations für die Festivalmacher am Ende dieses erlebnisreichen Tages.
Noch bis zum 13 Oktober besteht die Möglichkeit, das Festival zu besuchen und seine außergewöhnlichen Bildwerke zu erleben. Wer es nicht schafft, dem sei der Festivalkatalog empfohlen, der trotz seines Umfangs, vielen Bildern und fundierten Berichten nur einen Andeutung der Magie zu geben vermag, was die Besucher auf diesem einzigartigen Parcours der Fotokunst erwartet.
Der umfangeichen und informativen Katalog zum Festival Welt.Natur.Erbe kann auf der Webseite der Edition Lammerhuber für 25 Euro bestellt werden.