Noch bis zum 13 Oktober 2024 bietet sich die Möglichkeit, die Erlebnisse der etwa 200 Teilnehmer aus aller Welt am Media Walk auf dem Festival „La Gacilly – Baden Photo“ nachzuerleben. Drei Tage lang war der romantische Badeort Baden bei Wien die Welthauptstadt der Fotografie. Die Stadtroute haben wir Ihnen bis auf die letzten beiden Stationen, die den Ikonen der Fotografie, den Zwillingsbrüdern David und Peter Turnley gewidmet sind, bereits vorgestellt.
Am Brusatti Platz, direkt neben den Tourismus Büros und der Römer Therme geht der Kunstmarathon nach kurzer Erholungspause mit köstlichem Kaffee und Kuchen in der Annamühle weiter.
David Turnley, dessen Fotos von der Freilassung Nelson Mandelas Weltgeschichte dokumentieren, zeigt hier an den Hauswänden am Brusattiplatz seine Arbeiten mit dem Thema „In den Tiefen der Seele“. Cyril Drouhet, Kurator des Festival Photo La Gacilly, dessen Vorjahresinstallationen von la Gacilly Photo in der Bretagne nun auf der Gartenroute durch den Gutenbrunner und den Doblhoff Park in Baden bei Wien zu erleben sind, erläutert die Botschaft, des dort in dem kleinen Dorf gegründeten Festivals folgendermaßen.
„Mit dieser außergewöhnlichen Ausgabe wollen wir die Arbeiten der großen Meister der Naturfotografie sowie der neuen Generation von Künstlern vorstellen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Menschheit nachhaltig mit unserer natürlichen Umwelt leben kann. Wenn es um die lebenswichtigen Fragen der Verstädterung, der biologischen Vielfalt , der natürlichen Ressourcen, der Umweltverschmutzung und des Klimawandels geht, wollen wir mit Hilfe von Bildern, wenn schon keine Lösungen so doch zumindest Wege zum Nachdenken anbieten“, schreibt er im Katalog zum Festival. Für 2023/2024 hat er fünf Bereiche und Fragen definiert: Wie können wir unsere Naturräume bewahren, unsere biologische Vielfalt schützen, unsere Gesellschaft verstehen, uns eine Welt von morgen vorstellen und unsere Menschheit neu erfinden?
„…die Menschen hatten schon immer die Fähigkeit, sich diesen Hoffnungsschimmer zu bewahren, der es ihnen selbst in den schlimmsten Situationen ermöglicht, sich neu zu erfinden und über sich hinauszuwachsen“, schreibt Cyril Drouhet, Kurator der Ausstellungen des Festival Photo La Gacilly im seinem Grußwort im Festivalkatalog. „David Turnley und Peter Turnley sind Giganten der Fotografie. Die Zwillingsbrüder mit ihren so unterschiedlichen Blicken feiern in diesem Jahr in La Gacilly ihre 50-jährige Karriere. „Es ist zwar unfair, sie immer zusammenzubringen, aber es ist unmöglich, sie trennen zu wollen. In der weiten Galaxie des Fotojournalismus sind David und Peter Turnley zwei leuchtende Sterne im selben Sonnensystem“ heißt es im Katalog. „Sie wurden als Zwillinge in Indiana, USA, geboren und schlugen 1973 zur gleichen Zeit die Fotografenlaufbahn ein, als sie mit gerade einmal 17 Jahren in derselben Straße arbeiteten: in der McClellan Street, einer der ärmsten Straßen ihrer Heimatstadt Fort Wayne. Seitdem sind die beiden Männer jeweils ihren eigenen Weg gegangen, haben sich getrennt und treffen sich manchmal am selben Ort- wie Anfang März 2022 nach der russischen Invasion in der Ukraine.
Pulitzer Preis Gewinner David Turnley war mit Frau und Tochter zum Festival angereist. Am Brusattiplatz berichtete er vor den dort angebrachten Großinstallationen seiner Bilder unter anderem von den Tricks, die er damals in Südafrika angewendet hatte, um das erste Foto von Nelson Mandela in Freiheit zu schießen. Am Brusattiplatz sind jedoch keine der großartigen Bilder aus den Geschichtsbüchern zu finden. Hier zeigt David Turnley unter dem Titel „In den Tiefen der Seele“ eine andere Seite seines Talents. Zunächst mit den Arbeiten über „Anna and Flander“, die über zwei Jahre hinweg zwischen 1978 und 1980 auf einer Farm in der Nähe von Detroit, Michigan, entstanden sind. Dort begleitete der Künstler ein alterndes Bauernpaar, die Hamlins, in ihrem Alltag als Farmer. Danach folgte eine intime Serie über Paris und seine Bewohner. Wie sein Zwillingsbruder hat sich auch David vor vielen Jahren in die französische Hauptstadt verliebt und lebt auch heute dort.
Die Arbeiten von Peter Turnley sind unter dem Titel „Conditio Humana“ an der Römertherme zu sehen. Sein erster Auftrag für Newsweek führte den Fotografen 1984 nach Indien, wo er über die Beerdigung von Premierministerin Indira Gandhi berichtete, die von ihren eigenen Bodyguards ermordet wurde, und über die Gewalt, die nach diesem Terrorakt das Land heimsuchte. Danach arbeitete er noch fünfzehn weitere Jahre lang in mehr als 80 Ländern für diese Zeitschrift.
Proteste auf dem Tian‘anmen-Platz, Völkermord in Ruanda, Bürgerkrieg und Hungersnot in Somalia, Apartheid und ihr Ende in Südafrika, der Israel-Palästina-Konflikt, der Bosnienkrieg, der Golfkrieg Tschetschenien, bis hin zu den Anschlägen am 11. September 2001 in New York – eingesogen in den ständigen Wirbel der Schrecken der Welt zeigt Peter Turnley Bilder zu den Schlagzeilen des Weltgeschehens.
„Ich habe Jahre lang die Welt bereist, um ihre Tragödien zu bezeugen. Den roten Faden meiner Arbeit bildete jedoch immer die Empathie mit den Akteuren dieser Dramen. Die Fotografie ist der Spiegel eines zu Herzen gehenden Augenblicks“, kommentierte er seine Arbeiten.
Wie wir uns eine Welt von morgen vorstellen? Sicherlich nicht so, wie Cássio Vasconcellos sie sich vorstellt: In einem überdimensionalen Fresko an der Wand am Start in die Gartenroute direkt neben dem Besucherzentrum hängt ein Panoramabild mit 27 Meter Länge, das eine Aufzählung der Schrecknisse zeigt, die Menschen durch Überindustrialisierung der Erde tagtäglich antun. Symbolisiert werden diese durch aufgegebene Supertanker, ausgediente Flugzeuge oder Autos. Das Wandbild des brasilianischen Künstlers ist eine fotorealistische, schauerlich schöne Darstellung des Untergangs, das monumental den Beginn der Gartenroute des Parcours der Fotokunst markiert. Der Titel dieses Mammut-Puzzles lautet „Over“. Es ist eine Anklage gegen die menschengemachte Zerstörung der Welt.
„Zahlreiche menschengemachte Abfälle lassen sich nur sehr schwer recyceln bzw. beseitigen. In meiner Arbeit versuche ich, diese von der Menschheit hervorgebrachte Ansammlung von Gütern zu zeigen, diesen Exzess, den sie erzeugt, um einen bestimmten Lebensstil aufrechtzuerhalten“, kommentiert der Künstler diese aufwändige Arbeit. Sein Werk ist eine akribisch produzierte Collage aus Tausenden von Bildern, die Cássio Vasconcellos auf Mülldeponien und Flugzeugfriedhöfen fotografiert hat. Jedes Objekt wurde einzeln aufgenommen, ausgeschnitten und dann zu diesem überdimensionalen, riesigen Puzzle zusammengefügt. Das Ergebnis zwingt durch die veränderte, schockierend schöne Realität das Publikum, über die selbstzerstörende Art und Weise unseres Lebens nachzudenken.
Die Urbanisierung der Welt ist Thema der Ausstellung „Metropolis“ von Pascal Maitre an der Römertherme. Experten erwarten dass bis 2050 zwei von drei Menschen in urbanisierten Gebieten leben. Dieselben Experten prognostizieren ebenso, dass es bis dahin 43 Städte mit mehr als 10 Millionen Einwohnern geben wird, heute sind es noch 23. In Afrika geht man davon aus, dass Städte wie Kairo, Kinshasa und Lagos diese Schwelle überschreiten werden. Sind Städte die Zukunft der Menschheit? Dies birgt jedoch eine Vielzahl von Problemen, wie Hygiene, Umweltverschmutzung, Beschäftigung, Überbevölkerung, Verkehr oder auch Stadtplanung.
Viele Megacities weltweit liegen in für Menschen am wenigsten geeigneten Landschaften. So liegt beispielsweise Kairo, das größte Stadtgebiet Afrikas, am Rande einer Wüste. In La Rinconada, Peru lebt eine Bevölkerung von etwa 50 000 Menschen auf über 5 000 Metern Höhe, also höher als der Gipfel des Mont Blanc. Der international bekannte Fotojournalist Pascal Maitre hat diese Städte fotografiert. Der Meister des Lichts, schafft es wie kein anderer die Seele dieser Orte und der dort lebenden Menschen einzufangen.
Wie von einem anderen Stern wirken die Figuren der Bilder von Sacha Goldberger beim Betreten des Gutenbrunner Parks auf die Kunstkarawane. Seine mit Hilfe der Galerie XII und der Expertise von PICTO realisierten Ausstellung „Alien Love“ ist eine Metapher für eine von ihren Bewohnern verwüstete Erde, die auf der Suche nach einem Planeten sind, um sich dorthin zu retten.
Der frühere Art Director in einer Werbeagentur hat 2008 selbst noch einmal neu angefangen und Fotografie studiert. Seit dieser radikalen Wendung in seiner Karriere hat er faszinierende Fotoserien geschaffen, die einen gewaltigen Einsatz von logistischen und technischen Mitteln erforderten, wie sie für große Kinoproduktionen üblich sind. Alien Love ist eines seiner jüngsten Werke. Es ist eine Metapher für eine von ihren Bewohnern verwüstete Erde, die auf der Suche nach einem Planeten, um sich dorthin zu retten. Der Schriftsteller und Regisseur Alexandre Jardin schreibt dazu im Ausstellungskatalog: „Normale Menschen machen mir Angst. Sie tolerieren die Realität. Der Unsinn von Sacha Goldberger beruhigt mich. Er fordert das Recht der Realität heraus, das letzte Wort zu haben. Sacha gibt sich als Fotograf aus. In Wirklichkeit ist er dagegen, dem Leben die Poesie zu nehmen. Gegen jede Form von verräterischer Einschränkung. Gegen die Stumpfsinnigkeit. Gegen einen Mangel an Freiheit im visuellen Vokabular.“
Und weiter heißt es dort: „Wenn er die Tristesse der Realität abschüttelt, um sich mit den Träumen ins Bett zu legen, fühle ich, dass Goldberger ein Menschenfreund ist, einer jener Männer, die die armen, in der Dumpfheit gefangenen Seelen der Menschen besänftigen. Wir haben das Recht, uns in seiner wundersamen Schönheit zu sonnen, in der strahlenden Nostalgie der fünfziger Jahre zu wandeln. Voilà, ich habe es gesagt. Dieser geborene Rebell hat das Recht, so herzhaft zu lachen, dem Faden und dem Geschmacklosen zu entkommen, den Roswell-Zwischenfall ernst zu nehmen! Scheiß auf normale Menschen, scheiß auf die Mitläufer!“
Raum-Zeit lautet der Titel unter dem der Brasilianer Lucas Lenci drei Bildserien seiner Reflexionen über die Welt präsentiert. „Die Fotografie hat die Macht, mit einer einzigen Aufnahme eine ganze Geschichte zu erzählen, unserer Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen, uns zum Träumen anzuregen, uns aber auch nachdenklich zu stimmen. Darin schreibt unsere Kreativität unsere Kunstauffassung fort. Ich wollte eine Parallele zwischen Fotografie und Tierpräparation ziehen und einige philosophische Überlegungen zu den Begriffen Leben und Tod, Existenz und Überleben, zur vergänglichen Schönheit der Vögel und letztlich zu uns selbst anstellen“, wird der brasilianische Fotograf Lucas Lenci im Festivalkatalog zitiert. In den im Gutenbrunner Park gezeigten drei Serien aus seinem Werk zeigt Lucas Lenci visuelle Essays, die den stillen, statischen Charakter der Fotografie betonen. Indem er in der Serie „Still Life“ eine Parallele zwischen der Fotografie und der Tierpräparation herstellt, regt er zum Nachdenken über Leben und Tod an. Dabei zeigt er gleichzeitig die Notwendigkeit auf, unsere „natürliche“ Welt zu bewahren, die – wie es im Katalog heißt – „unaufhaltsam unter dem erdrückenden Fuß der Menschheit zu verschwinden droht.“
In seinen beiden anderen Bildserien, „Movimento Estático“ und „Alpha Cities“, stellt der Fotograf Gedanken über unsere Welt vor, die ständig zwischen einer maßlosen Verstädterung und dem Wunsch nach Schutz und Erhaltung der Naturräume schwankt. Die drei unterschiedlichen Bildgeschichten zeigen drei verschiedene Herangehensweisen des Fotografen, für die sich der Fotograf und Künstler jedes Mal neu erfinden musste. Lucas Lenci ist übrigens der Enkel des großen deutschen Fotografen Peter Scheier, der nach Brasilien auswanderte und dort in den 50er bis 70er Jahre das Geschehen dort dokumentierte.
Die Gluthitze über Baden und der vertrocknete Rasen im Gutenbrunner Park lässt die Installationen des französischen Fotografen Maxime Riché noch eindringlicher und realistischer erscheinen. Die gespenstischen Bilder von dem durch Waldbände verwüsteten Örtchen Paradise in Kalifornien unter dem fast zynisch wirkenden gleichnamigen Titel führen uns auf dramatische Art und Weise die Auswirkungen des Klimawandels vor Augen. Das Camp Fire, das tödlichste Feuer in der Geschichte Kaliforniens hat innerhalb von nur 18 Tagen mehr als 620 Quadratkilometer Wald und 13 500 Häuser zerstört. Das Feuer brach am 8. November 2018 aus. Auch die in den Ausläufern der Sierra Nevada liegende Stadt Paradise war von den Verwüstungen durch die Flammen betroffen. Dabei kamen 85 Menschen ums Leben, vier sind vermisst. Im Juli 2021, wütete das gewaltige Dixie Fire in derselben Gemeinde.
„Bis Ende September, als das Feuer schließlich gelöscht wurde, hatte es die Zerstörung von 1 300 Häusern, den Tod eines Feuerwehrmanns und mehr als eine Milliarde Dollar an Sachschäden verursacht“, erläutert der Katalog den Hintergrund der Dokumentation der Verwüstungen durch den französischen Fotografen Maxime Riché. Er hat das von der Tragödie heimgesuchte Gebiet von Paradise, einer Stadt, deren Name heute wie eine traurige Ironie klingt, fotografiert. In seinen Arbeiten zeigt der Fotograf weniger Aufnahmen von den Bränden als vielmehr von deren Folgen. Er stellt die Männer und Frauen vor, denen die Angst vor dem nächsten Feuer ins Gesicht geschrieben steht und die sich dennoch darum bemühen, ihr Paradies wieder aufzubauen, das durch die Brandkatastrophe zur Hölle wurde.
„Diese Ausstellung bietet eine andere Perspektive auf den Bundesstaat Kalifornien, wo die Dürre, die durch eine Kombination aus beschleunigtem Klimawandel und schwerwiegender Misswirtschaft bei den Wasserressourcen verursacht wird, dazu führt, dass die Waldbrandsaison immer früher beginnt. Die Brände treten häufiger auf, sind größer und dramatischer. Dieses Phänomen ist ein Vorbote dessen, was auf der ganzen Welt zu geschehen droht“, lautet die im Katalog ausgesprochene Warnung vor den Folgen eines rücksichtslosen Umgangs mit den Ressourcen unserer Erde.
„Es ist bereits morgen“ lautet der Titel der überdimensionalen Open-Air-Ausstellung mit Bildern des italienischen Fotokünstlers Luca Lucatelli. Das farbenprächtige Bilderlabyrinth mitten im Gutenbrunner Park stellt sich die Frage, wie wir zukünftig leben werden. Dabei rückt der Künstler die Frage in den Mittelpunkt: „Was ist Innovation und was ist Fortschritt. Was ist geeignet, die Hoffnung auf ein besseres Leben zu wecken, was lässt uns hoffen, was zweifeln, dass die Zukunft besser sein wird als die Gegenwart.“ Nach einem Jahrhundert nie dagewesener, technologischer Fortschritte, an dessen Anfang die größten Umbrüche der Geschichte standen, die den Status quo in allen Bereichen wie Bildung, Medizin, Raumfahrt, Lebensmittelversorgung usw. erschütterten, sind die westlichen Gesellschaften im Großen und Ganzen von einem Verlust der Hoffnung auf eine bessere Zukunft betroffen“, heißt es im Festivalkatalog. Und weiter: „Der technologische Fortschritt ruft heute kein Staunen mehr hervor. Im besten Fall sind wir gleichgültig. Im schlimmsten Fall haben wir Angst.“ Für seine bereits im Jahr 2011 begonnene Bilderserie lässt sich Luca Lucatelli von der Ästhetik von Science-Fiction-Filmen inspirieren und regt das Publikum dazu an, sich mit der aktuellen Situation der Menschheit auseinanderzusetzen. Vor allem aber sollen uns Luca Lucatellis Bilder wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen.