Die wichtigste Ressource der Menschheit sind ihre Nachkommen, die Kinder. Deshalb hat das Organisationsteam des Umweltfotofestivals «horizonte zingst», das in diesem Jahr das Thema „Ressourcen“ zum Leitmotiv gewählt hat, Kinder prominent in den Fokus gerückt. Zum einem hat der Fotograf Jan von Holleben die Träume und Zukunftswünsche der Kinder der Urlaubsregion Fischland Darß mit viel Fantasie in begeisternde Bilder voller Lebensfreude umgesetzt, die in einer überdimensionale Installation am Zingster Strand präsentiert werden und auf der anderen Seite werden die erschreckenden Fotografien des „UNICEF Photo des Jahres 2024“ Wettbewerbs in einer eher besinnlichen und gleichzeitig aufrüttelnden Ausstellung in und an der Peter-Pauls Kirche noch bis Oktober 2025 zu sehen sein.

Verregnete Vernissage der UNICEF Fotos des Jahres 2024 mit Peter-Matthias Gaede (l.), Pfarrerin Ines Dobbe und Kuratorin «horizonte zingst» Edda Fahrenhorst.
Es fällt schwer zuzuhören und noch schwerer hinzuschauen. Dennoch dürfen wir den Blick nicht wegwenden. Wir müssen es aushalten, wahrzunehmen wenn engagierte Fotografen und Fotografinnen den Fokus auf die Wunden unserer Gesellschaft gelegt haben. Oftmals unter Lebensgefahr, immer aber mit einem starken Engagement, die Probleme unserer Welt aufzudecken und in ihren Fotografien sichtbar machen. Diese eindringlichen Fotos brennen sich in das Gehirn ein, sind nicht zu verdrängen. Wir müssen sie aushalten, um uns bewusst zu werden, dass nur die Wahrnehmung der Probleme, sie auch lösen kann. Diesen Blick auszuhalten, hat auch etwas mit Haltung zu tun. Die Sieger und Siegerinnen, die mit der Auszeichnung UNICEF-Foto des Jahres 2024 geehrt werden, erhalten keine materiellen Gewinne. Dennoch zählt dieser Preis zu den renommiertesten und angesehensten Auszeichnungen in der Dokumentarfotografie. Ehrt er doch die Ausgezeichneten mit weltweiter Anerkennung ihrer Arbeit und ihres Engagements. Die Bilder werden in vielen Institutionen, auf Festivals oder in sozialen Einrichtungen einem weltweiten Publikum präsentiert, wie traditionell auch während des Umweltfotofestivals »horizonte zingst« in der Peter und Paul Kirche. Diesmal sogar auch als Open Air Installation in der Allee, die zum Kirchengebäude führt. Es ist ein besinnlicher, ruhiger Ort, wie er für diesen Anlass nicht besser gewählt werden könnte. Die Laudatio hielt der langjährige Chefredakteur des Magazins GEO, Jury-Mitglied und Kurator der Ausstellung Peter-Matthias Gaede.

Die Siegerbilder des UNICEF Foto des Jahres 2024 von Avishag Shaar-Yashuv (Israel) für The New York Times und von Samar Abu Elouf (Palästina).
Hier Auszüge der Eröffnungsrede von Peter-Matthias Gaede im Wortlaut:
Zum ersten Mal in seiner 25-jährigen Geschichte hat der Wettbewerb zum „UNICEF-Foto des Jahres“ zwei Gewinner. In diesem Fall: Gewinnerinnen. Die Jury war, wie hätte es anders sein können, auch mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern konfrontiert. Und sie entschied sich, nicht über Schuldfragen zu richten. Und nicht darüber, auf welcher Seite es die höhere Zahl an Opfern gibt, denn dies ist ohnehin klar. Sondern sie entschied sich für zwei herausragende Arbeiten, die jenseits dieser Fragen zeigen, was Krieg in Kindern anrichtet – egal, auf welcher Seite sie leben. Unschuldig sind sie in jedem Fall. Krieg wird von Erwachsenen entfacht, von Erwachsenen geführt. Kinder sind Opfer.

Installation der Fotos der beiden Siegerinen des UNICEF Foto des Jahres 2024 Wettbewerbs Avishag Shaar-Yashuv Israel und Samar Abu Elouf (Palästina)
Das zeigt die Arbeit der jungen israelischen Fotografin Avishag Shaar-Yashuv, die unter anderem einen achtjährigen Jungen porträtierte, der gemeinsam mit seinen Eltern unter dramatischen Umständen das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 überlebte. Und es zeigt ebenso das Doppelporträt der palästinensischen Fotografin Samar Abu Elouf, die ein Geschwisterpaar fotografierte, das seine gesamte Verwandtschaft bei einem israelischen Bombenangriff verlor. In den Gesichtern der Kinder: Schock, Fassungslosigkeit, Verlorensein, Leid. Und bei allem: auch Würde.
Als Jury-Mitglied erzählte Peter-Matthias Gaede bei der Eröffnung der Open-Air-Installation der eindringlichen Fotografien der beiden Siegerinnen bei strömenden Regen diese und weiteren Geschichten, über die Hintergründe die innerhalb und außerhalb der Peter-Paul Kirche noch bis in den Oktober 2025 hinein gezeigt werden. Die trotz des Regens sehr zahlreich erschienen Festivalbesucher begrüßten zuvor die Gastgeberin, die Pastorin der Peter-Pauls Kirche Ines Dobbe und die Hauptkuratorin der »horizonte zingst« Edda Fahrenhorst.
1. Preis
Israel / Gaza: Die verschiedenen Gesichter des Schocks, des Schmerzes und einer tiefen Trauer
Sie haben die grauenvollen Szenen des Massakers der Hamas in ihren Kibbuzim am 7. Oktober 2023 überlebt. Sie sind vier Jahre, zehn Jahre, 13 Jahre alt. Oder 17 und waren für 51 Tage als Geisel verschleppt. In ihren Gesichtern, jenem etwa des achtjährigen Stav Nitzan, offenbaren sich Fassungslosigkeit, Verlorensein, Pein. Die israelische Fotografin Avishag ShaarYashuv hat sie in einem Hotel porträtiert, das vielen der Opfer der Hamas-Attacke zeitweise eine Notunterkunft war.

Selbst der Himmel weint angesichts des Elends, das dieser von Avishag Shaar-Yashuv, Israel, fotografierte Junge erleben musste.
Sie haben die Bombardements der israelischen Luftwaffe auf Wohnviertel in Gaza überlebt. Sie sind zwei Jahre, vier Jahre, fünf Jahre, neun, 13 oder 15 Jahre alt, sie sind unter Trümmern hervorgegraben worden, sind gelähmt, haben ihr Augenlicht, haben Arme, Beine, Hände verloren, oft ihre Eltern, nicht selten ihre gesamte Verwandtschaft. In ihren Gesichtern Fassungslosigkeit, Verlorensein, Leid.
Die palästinensische Fotografin Samar Abu Elouf hat die Kinder in einem Hospital in Katar porträtiert, wo sie gerettet wurden. Darunter das Geschwisterpaar Dareen, elf, und Kinan, fünf Jahre alt, die einzigen Überlebenden einer durch einen Bombenangriff ausgelöschten Familie. In diesem an altmeisterliche Gemälde erinnernden stillen Bild offenbart sich in großer Eindringlichkeit die ganze Würde von Kindern selbst noch in existentieller Seelennot.

Aus der Serie der Siegerbilder von Samar Abu Elouf, der palästinensische Gewinnerin des UNICEF Foto des Jahres 2024 Wettbewerbs.
Die Jury des UNICEF-Foto des Jahres, mochte sich nicht anmaßen, eine Rangfolge des Leidens aufzustellen. Denn jenseits aller Schuldfragen haben hier zwei Fotografinnen auf beiden Seiten der Front gleichermaßen dazu beigetragen, ein universelles Bild vom Schicksal der Kinder im Krieg zu zeichnen. Ganz ohne Blut, zurückhaltend beide, sind ihnen zarte Hinweise auf eine schwer erschütterte Psyche gelungen. Zugleich Bilder, die aufschlussreich und mahnend auch dann noch sein werden, wenn die Waffen eines Tages schweigen. Erstmals in der nun 25-jährigen Geschichte des UNICEF-Fotos des Jahres hat die Jury deshalb zwei erste Preise verliehen. An die Fotografinnen Avishag Shaar-Yashuv, Israel, und Samar Abu Elouf, Gaza, Palästina (für New York Times). Avishag Shaar-Yashuv, geboren 1990, fotografiert seit rund zehn Jahren für israelische und internationale Medien, darunter die New York Times und die ZEIT. Ihr Themenspektrum reicht von israelischem Mode-Design bis zu ukrainischen Flüchtlingen und dörflichen Öko-Gemeinschaften. Ihre Porträts der Überlebenden der Hamas-Attacke bezeichnet Shaar-Yashuv als ihre bisher wichtigste Arbeit. Sie war beim Begräbnis von Freunden dabei, die Opfer des Massakers wurden; sie will die tiefe Traurigkeit sichtbar machen, die selbst in jenen Menschen wurzelt, die äußerlich unverletzt erscheinen.

Foto © Samar Abu Elouf
Samar Abu Elouf, geboren 1983, hat sich das Fotografieren mit geliehenen Kameras autodidaktisch beigebracht. Zunächst verlacht von Profis der Branche, wurde Abu Elouf zu einer der mutigsten und besten Fotojournalisten in Gaza. Seit 2010 arbeitet sie als freie Fotografin für die Agentur Reuters, für die New York Times, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und andere. Sie wurde von der International Women’s Media Foundation und der britischen Royal Photographie Society ausgezeichnet. Um ihre vier Kinder in Sicherheit zu bringen, hat sie das Angebot angenommen, eine Zeit lang nach Katar zu gehen. Über ihre Porträts geschundener Kinder aus Gaza sagt sie: „Ich sehe nicht Fotos, ich sehe die Seele hinter den Fotos.“
2. Preis
Demokratische Republik Kongo: Ein Virus auf dem Vormarsch
Früher „Affenpocken“ genannt, macht eine seltene Viruserkrankung unter der Bezeichnung Mpox in Teilen Afrikas seit einiger Zeit ungute Karriere. Vor allem in der Demokratischen Republik Kongo mit etwa 40.000 vermuteten und mehr als 8.000 bestätigten Fällen sowie bereits über 1.000 Todesopfern. Zum zweiten Mal nach 2022 hat die Weltgesundheitsorganisation die höchste Alarmstufe dazu, aufgerufen; Mpox-Fälle sind unter anderem auch aus den USA und Deutschland bekannt. Es gibt eine Impfung gegen Mpox, doch vor allem in ärmeren Ländern ist die Versorgung damit lückenhaft. Besonders gefährdet: Kinder.

2. Preis UNICEF Foto des Jahres 2034, ein an Mpox erkrankter Junge in der Republik Kongo , der im Kavumu Hospital in der Region Kivu behandelt wird. © Pascal Maitre
Mpox führt nicht nur zu Hautinfektionen mit Geschwürbildung, sondern kann auch Lungenentzündungen, Entzündungen des Gehirns und Augeninfektionen bis hin zum Sehverlust bewirken. Der französische Fotograf Pascal Maitre ist ins Zentrum der Infektionen gegangen und hat die Behandlung betroffener Kinder im Kavumu-Hospital in der Region Kivu, im Osten des Kongo, dokumentiert. Darunter ist der sieben Monate alte Junge Japhet, dessen Pusteln im Gesicht mit dem antiseptischen Medikament „Gentian Violet“ behandelt werden. Gepflegt und behütet wird der Kleine von seiner 19-jährigen Mutter Christevi.
Auch Erwachsene werden in der spärlich ausgestatteten Gesundheitsstation behandelt, dort immer noch besser aufgehoben als auf dem Lehmboden ihrer Hütten – oder in Lagern, wie die von Busharaga, wo Mpox unter den 16.000 dort untergekommenen, vor interner Gewalt Geflüchteten gefährliche Ausbreitungsmöglichkeiten hat.

2. Preis UNICEF Foto des Jahres 2024 “ Ein Virus auf dem Vormarsch“ © Pascal Maitre
Der Fotograf: Pascal Maitre, Frankreich (The VII Foundation für Paris Match)
Pascal Maitre, 1955 in Buzancais geboren, gehört seit Jahrzehnten zu den international renommiertesten Fotografen mit Schwerpunkt auf Afrika-Themen. Nach einem Studium der Psychologie begann er als Fotojournalist bei der „Jeune Afrique“ – Pressegruppe. Regelmäßig drucken große Magazine in Frankreich (Figaro Magazine, Paris Match), Deutschland (GEO, Stern) und den USA (National Geographic) seine Geschichten aus mittlerweile über 40 afrikanischen Ländern, dazu auch aus Lateinamerika, dem Mittleren Osten, Afghanistan und Sibirien. Zu den großen Themen Maitres zählen, wie 650 Millionen Menschen in Afrika ohne elektrisches Licht auskommen, oder die Abhängigkeit von Millionen Menschen von Holzkohle – mitsamt der ökologischen Folgen.
3. Preis
Frankreich: Der schwere Weg ins Leben
Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation werden weltweit etwa zehn Prozent aller Kinder vor Vollendung der 37.Schwangerschaftswoche geboren, also drei Wochen zu früh. Mit jeder Woche weniger wird der Eintritt ins Leben dramatischer, vor allem für extrem Frühgeborene, die schon nach weniger als 32, gar bereits nach 26 Schwangerschaftswochen die ersten Atemzüge machen müssen. Die größten Gefahren: mangelnde Lungenreife, Nierenunterfunktion. So ist der Tod nach Frühgeburt global der zweithäufigste Grund, das fünfte Lebensjahr nicht mehr zu erreichen. Auch in Industrienationen wächst der Anteil der Frühgeburten, was vor allem auf das steigende Alter der Mütter bei der Geburt zurückgeführt wird, doch hat mindestens in den reichen Ländern die medizinische Fürsorge für Frühchen große Fortschritte gemacht.

3. Preis UNICEF Foto des Jahres 2024 © Maylis Rolland, Frankreich (Agentur Hans Lucas)
Schon Kinder, die nach nur knapp 22 Wochen zur Welt kamen, mit nur 26 Zentimeter Größe, mit lediglich 245 Gramm Gewicht, konnten gerettet werden. Die französische Fotografin Maylis Rolland hat am Universitäts-Krankenhaus der Stadt Rennes einige Zeit lang die wunderbaren Momente eingefangen, in denen das zerbrechliche Leben winzigster Babys mit großem Aufwand an Geräten und zugleich intensiver menschlicher Zuwendung stabilisiert wird. Etwa jenen Moment, in dem der kleine Junge Gabin, nach 25 Schwangerschaftswochen geboren und noch unter einer Atemmaske, das Gesicht seiner Mutter Doriane berührt.

3. Preis UNICEF Foto des Jahres 2024 „Der schwere Weg in Leben“ © Maylis Rolland, Frankreich (Agentur Hans Lucas
Die Fotografin: Maylis Rolland, Frankreich (Agentur Hans Lucas)
Maylis Rolland, Jahrgang 1984 und in der Nähe von Nantes lebend, hat als Lehrerin für Biologie und Geologie gearbeitet, bevor sie Fotografin wurde. Ihr Interesse gilt Umwelt und Gesundheitsthemen; ihre Arbeiten werden in vielen französischen Medien, darunter Le Monde, publiziert und wurden bei Fotofestivals unter anderem in Perpignan und Paris gezeigt. Die Frühgeburten-Rate in Frankreich lag zuletzt bei etwa sieben Prozent; das Universitäts-Klinikum Rennes gilt in der Frühgeborenen-Versorgung als eines der fortschrittlichsten des Landes.