Südafrika, 1960er-Jahre. Afrikaner drängen sich am Bahnsteig des Johannesburger Bahnhofs während der Hauptverkehrszeit am späten Nachmittag. Der Pfiff ertönt, der Zug setzt sich in Bewegung, aber die Menschen versuchen immer noch einzusteigen. Aus dem Kapitel „Nightmare Rides“ Copyright Ernest Cole / Magnum Photos
Ab dem 2. Juni bis zum 17. September 2023 zeigt die Deutsche Börse Photography Foundation das Lebenswerk des südafrikanischen Fotografen Ernest Cole. Es ist mit rund 130 Arbeiten die erste große Werkschau des bedeutenden Chronisten der Apartheidpolitik in Deutschland. Die Ausstellung vereint Aufnahmen aus allen 15 thematischen Kapiteln des gleichnamigen Fotobandes „House of Bondage“ sowie Fotografien aus dem in der Originalausgabe des Buches nicht veröffentlichten Kapitel „Black Ingenuity“.
Neben den Fotografien wird die Präsentation um frühe Originalabzüge, persönliche Dokumente des Künstlers, Originalausgaben von publizierten Bildstrecken Coles in Zeitschriften sowie einem Videointerview mit Cole aus dem Jahr 1969 ergänzt .
Ernest Cole (1940–1990) dokumentierte die Auswirkungen des Apartheidsystems auf die Schwarze Bevölkerungsmehrheit in Südafrika so eindringlich und umfassend wie wenige seiner Zeitgenoss*innen. In seinem 1967 publizierten Fotobuch „House of Bondage“ enthüllt er die unzähligen Formen der Gewalt und Repression, denen er als Schwarzer Fotograf auch selbst ausgesetzt war. In der Hoffnung, die Weltöffentlichkeit auf die Missstände in seinem Heimatland aufmerksam machen zu können, begann er bereits mit 18 Jahren als Fotograf zu arbeiten. Die Klassifizierung als „Farbiger“ ermöglichte Cole einen Bewegungsfreiraum und Zugang zu vielen Orten, die ihm das autoritäre Regime als „Schwarzer“ nicht gewährt hätte. Cole fotografierte die prekären Lebensumstände von Minenarbeitern und Angestellten in weißen Haushalten ebenso wie die miserablen Bedingungen im Transport- und Gesundheitssektor.
Sein besonderes Augenmerk galt dabei den in Armut und Hoffnungslosigkeit lebenden Kindern und Jugendlichen, denen eine angemessene Schulbildung verwehrt wurde. Aus der Sicht eines Betroffenen geben seine Aufnahmen erschütternde Einblicke in das Leben der Schwarzen Bevölkerung im Südafrika der 1960er-Jahre, das von Unterdrückung, polizeilicher Willkür und Enteignung geprägt war.
1966 gelang es Cole, das Land zu verlassen, jedoch nicht ohne vorher all seine Negative heimlich außer Landes gebracht zu haben. Wohl wissend, dass er nach der Veröffentlichung seiner Bilder nie wieder in sein Heimatland zurückkehren durfte, publizierte er sie 1967 in dem in den USA erschienenen Bildband „House of Bondage“. In 15 thematischen Kapiteln, die er jeweils mit eigenen Texten begleitete, führte er damit der Weltöffentlichkeit die Schrecken des Apartheidsystems vor Augen. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis sich die politische Lage für die Schwarze Bevölkerung Südafrikas verbesserte. Ernest Cole starb nur wenige Monate vorher, im Februar 1990, desillusioniert von der geringen Kraft der Bilder im Exil in New York City. Heute zählt „House of Bondage“ zu den bedeutendsten Fotobüchern des 20. Jahrhunderts.
Die Ausstellung „Ernest Cole. House of Bondage“ ist eine Kooperation mit Magnum Photos und wurde von Anne-Marie Beckmann, Deutsche Börse Photography Foundation, und Andréa Holzherr, Magnum Photos, kuratiert.
Die Biografie von Ernest Cole
Ernest Cole wurde 1940 als Ernest Levi Tsoloane Kole in Eesterust, einem Township nahe Pretoria geboren. Im Alter von acht Jahren entdeckte Cole seine Leidenschaft für die Fotografie und begann bereits wenige Jahre später, eigene Aufnahmen anzufertigen. Ab 1958 arbeitete er zunächst als Assistent des deutschen Fotografen Jürgen Schadeberg und später als Fotograf für das Magazin „Drum“, einer der einflussreichsten Zeitschriften für die Schwarze Bevölkerung Südafrikas. Nach weiteren Anstellungen bei „Zonk!“ und „Bantu World“, der größten afrikanischen Tageszeitung in Johannesburg, arbeitete Cole ab 1961 als freier Fotograf. Ab diesem Zeitpunkt entstanden viele seiner Aufnahmen, die später in „House of Bondage“ publiziert wurden. 1966 gelang es ihm, das Land zu verlassen. Nach Aufenthalten in London und Paris ließ sich Cole im September 1966 in New York City nieder. Mit Unterstützung durch die Agentur Magnum Photos konnte ein Jahr später seine umfassende und systematische Dokumentation der Auswirkungen der Apartheidpolitik auf die Schwarze Bevölkerung Südafrikas in den frühen1960er-Jahren in dem Buch „House of Bondage“ in den USA veröffentlicht werden. In den folgenden Jahrzehnten lebte er abwechselnd in Schweden und New York City, war jedoch als Fotograf kaum noch aktiv. Ernest Cole starb 1990 in New York City im Alter von 49 Jahren.
Das Fotobuch „House of Bondage“
„House of Bondage“ wurde 1967 vom Verlag Ridge Press in New York City veröffentlicht. Der umfangreiche Bildband zeigt Ernest Coles eindringliche Fotografien der 1960er-Jahre, die die Repressalien durch Apartheidgesetze und den Alltag der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika dokumentieren. „House of Bondage“ ist in 15 thematische Kapitel gegliedert, die mit Titeln wie „The Mines“, „For Whites Only“ oder „Heirs of Poverty“ überschrieben sind. Jedes Kapitel umfasst eine von Cole vorgenommene Auswahl seiner Aufnahmen und wird von einem ausführlichen Text begleitet, in dem der Künstler persönliche Einblicke in die Lebensrealität unter dem Apartheidsystem gibt. „House of Bondage“ wurde im Jahr 2022 im Aperture Verlag neu aufgelegt. Der Neuauflage wurde das Kapitel „Black Ingenuity“ hinzugefügt, für das Cole zwar eine Bildauswahl getroffen hatte, es schließlich jedoch nicht in die ursprüngliche Publikation von 1967 aufnahm. „House of Bondage“ umfasst neben den Originaltexten von Ernest Cole auch Beiträge von Mongane Wally Serote, Oluremi C. Onabanjo und James Sanders, einem Vertreter des „Ernest Cole Family Trust“. Englische Ausgabe, 232 Seiten, 227 Bilder, 21 x 29 cm, Hardcover, ISBN: 9781597115339.
Begleitprogramm:
Anlässlich der Ausstellung werden in Kooperation mit den Arthouse Kinos Frankfurt folgende thematisch angelehnte Filme gezeigt: Am 18. Juni, um 14 Uhr, „Mandela. Der lange Weg zur Freiheit“ (2013) und am 5. September, um 18.30 Uhr, „The Bang Bang Club“ (2011). Beide Veranstaltungen finden im Cinéma Kino an der Hauptwache in Frankfurt statt, im Anschluss an eine kurze Einführung durch Anne-Marie Beckmann. „Mandela. Der lange Weg zur Freiheit“ zeichnet die bewegende Lebensgeschichte Nelson Mandelas vom jungen Rechtsanwalt, über seine Rolle als Anführer der Widerstandsbewegung gegen die Apartheidpolitik und langjähriger Häftling, bis schließlich zum ersten Schwarzen Präsidenten Südafrikas nach. „The Bang Bang Club“ wiederum handelt von den moralischen und ästhetischen Konflikten, denen sich vier junge Fotojournalisten stellen müssen, die Anfang der 1990er-Jahre von den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Südafrika berichten. Tickets sind über www.arthouse-kinos.de erhältlich.
The Cube, Mergenthalerallee 61, 65760 Eschborn