Neue Erkenntnisse zur Geschichte der Fotografie: Zwei Jahre, bevor Henry Fox Talbot 1839 seine „Photogenic Drawings“ bekannt gab, hatte der Mineraloge und Chemiker Franz von Kobell bereits in München die Frauenkirche und andere Gebäude in Lichtbildern festgehalten und auf Papier fixiert. Sein Kollege, der Physiker Carl August Steinheil, beschäftigte sich seit April 1839 mit dem konkurrierenden bildgebenden Verfahren der Metallfotografie und war damit der offiziellen Bekanntgabe von Louis Daguerres „Daguerreotypien“ mehr als drei Monate voraus.
Cornelia Kemp präsentiert frühe deutsche Salzpapier-Negative und Daguerreotypien
aus der Sammlung des Deutschen Museums.
Denn eingebunden in akademische, künstlerische und gesellige Netzwerke und gefördert durch die Gunst des Königs hatten sich beide Wissenschaftler über einige Jahre der experimentellen Erkundung unterschiedlicher bildgebender Verfahren – der Fotografie auf Papier und Metall, Cliché-verre, Galvanoplastik, Galvanografie – gewidmet, wie Cornelia Kemp (DGPh), die ehemalige Kuratorin des Fotobereichs im Deutschen Museum, München, die sich dort im Fachbereich Foto und Film vor allem mit der Geschichte der Fotografie und Fototechnik beschäftigte, bei ihren Recherchen herausfand.
Ihre dabei gewonnenen Erkenntnisse legt Kemp in dem im Wallstein Verlag, Göttingen, erschienenen Buch „Licht – Bild – Experiment“, Untertitel „Franz von Kobell, Carl August Steinheil und die Erfindung der Fotografie in München“ ausführlich dar und weiß zudem, dass sich beide, gefördert durch die Gunst des Königs, über einige Jahre der experimentellen Erkundung unterschiedlicher fotografischer Verfahren widmeten. Deren Beitrag erweitert die bisher auf Frankreich und Großbritannien, also
Louis Jaques Mandé Daguerre und Henry Fox Talbot, konzentrierte Frühgeschichte der Fotografie um ein gewichtiges Kapitel aus dem deutschsprachigen Raum. Ihre Informationen revidieren zugleich die damit verbundenen widersprüchlichen Spekulationen der in den 1930er Jahren einsetzenden Forschung zur Geschichte der Fotografie.
Das Buch erläutert nach der Schilderung der Anfänge der Fotografie in München unter dem Titel „Licht und Elektrizität“ ausführlich die verschiedenen Aufzeichnungsverfahren auf Papier, vom Licht kopierte Zeichnungen, die Daguerreotypie und den Galvanismus sowie unter dem Titel „Bewahren und Vermitteln“, wie es „vom Experiment zum Exponat“ kam und wie hoch die Bedeutung von „Kobell
und Steinheil in der Historiografie der Fotografie“ heute einzuschätzen ist. Ausführlich beschreibt sie dabei die Beschäftigung der beiden Münchner Wissenschaftler mit der Fotografie und deren daraus hervorgegangene galvanische Arbeiten, die bislang so gut wie nicht rezipiert wurden. Dies gilt vor allem für die ‚Clichés-verre‘ von Kobell, die als die weltweit ersten überhaupt gelten dürfen. Im Epilog werden zudem etliche historische „Lichtbilder zwischen Kunst und Wissenschaft“ präsentiert.
Die Weltgeschichte der Fotografie muss jedoch nicht neu geschrieben werden – wohl aber die der deutschen. Denn über diese hat die Wissenschaftlerin Cornelia Kemp viele Jahre in den Archiven des deutschen Museums recherchiert und dabei ein auf der Rückseite handdatiertes, nur 4×4 cm großes Salzpapier-Negativ von Franz von Kobell entdeckt, das dieser schon im März 1837 angefertigt hat und die Münchner Frauenkirche zeigt – es ziert den Titel des Buchs.
H.-G. v. Zydowitz
Cornelia Kemp (DGPh)
Licht – Bild – Experiment
Franz von Kobell, Carl August Steinheil und die Erfindung der Fotografie in München
351 Seiten mit 217 Abbildungen
Format: 17 x 24 cm
Göttingen, Wallstein Verlag
ISBN: 978-3-8353-5557-6;
Preis 36 Euro