Lois Lammerhuber in Baden während des Fotofestivals.
Er ist ein fotografisch geprägtes, kreatives Multitalent, das sich in keine Schublade pressen lässt. Er feiert international Erfolge als Fotograf, Verleger, Kurator, Ausstellungsmacher, Umweltschützer, Festivalveranstalter und nicht zuletzt auch als Mäzen und Förderer der Fotografie. Er wurde mit zahlreichen Auszeichnungen dekoriert und scheint ständig von neuen Visionen und Ideen getrieben. Wir wollten von Lois Lammerhuber wissen, was ihn antreibt und woher er die Kraft für sein unerschöpflich scheinendes Engagement für die Fotografie nimmt. Durch seine vielen Facetten und vielfältigen Talente, bleibt der Macher Lois Lammerhuber auch durch intensive Nachfrage schwer zu fassen.
Heiner Henninges dasfotoportal Lieber Lois, bei der Vielzahl Deiner Talente und Engagements bildet offensichtlich die Fotografie das Kernthema. Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Dich für die Fotografie so begeistert hat?
Professor Lois Lammerhuber Bevor ich Fotograf wurde habe ich mir einen Jugendtraum erfüllt und habe in einem VW-Bus die Amerikas umrundet – mit der Panamericana von Alaskas Prudhoe-Bay bis nach Ushuaia in Feuerland als Herzstück der Reise. Zwei Jahre lang hatte ich nichts anderes zu tun als den Menschen beim Alltag zuzusehen. Und dabei habe ich das erste Mal in meinem Leben eine Kamera benutzt – eine Olympus OM-2 um genau zu sein. Dieses genaue Hinsehen hat meinen Glauben an die Menschen und ihre Überlebensfähigkeiten ebenso bestärkt wie es meine Demut gefördert hat, mit einem humanistischen und einfühlsamen Auge auf die Welt zu blicken.
HH Welche Ereignisse in Deiner Tätigkeit als Fotograf haben Deine fotografische Karriere, welche Deinen Stil geprägt?
LL Seit 1985 und eigentlich bis heute durfte ich immer und immer wieder für die Zeitschrift GEO fotografieren – für alle Ausgaben vom „Grünen“ bis GEO Saison. Meine Lehrmeisterin dort hieß Christiane Breustedt und war die Chefin der Bildredaktion. Die Zusammenarbeit mit ihr hat mich geprägt bis heute. Ja, ich möchte das geradezu als meine Schule des Sehens und des Journalismus bezeichnen. Ein ganz wunderbarer Glücksfall für mich. Mein Stil ist der klassischen Reportagefotografie zuzurechnen. Also Geschichtenerzählen entlang eines gut recherchierten Konzeptes aufgelöst in der Ästhetik der Bildsprache des 20. Jahrhunderts, klar und unmissverständlich der „concerned photography“ Cornell Capas zuzurechnen.
HH Viele Deiner Bilder wirken wie inszenierte Schnappschüsse. Sie scheinen auf den ersten Blick spontan, doch bei genauerem Hinsehen geben alle eine sorgfältig geplante inhaltliche und gestalterische Absicht preis. Wie ist Deine Vorgehensweise bei der Planung und Aufnahme Deiner Fotografien?
LL Es sind nie Schnappschüsse. Da ist nichts „Geschnapptes“ dabei, aber es sind auch keine gestellten Aufnahmen. Natürlich gibt es Aufnahmen mit „Intervention“. Also wenn ich jemanden anspreche um ihn/sie zu fotografieren, dann findet natürlich eine Art Absprache statt. Mein Vorgehen war und ist bis heute, dass ich nur wenige Bilder mache und schon im Kopf die meisten Bildoptionen ausschließe. Das hat natürlich auch ein paar Mal dazu geführt, dass ich Bild-Momente „verloren“ habe. Ich glaube von mir, dass ich ein „sehr schneller“ Fotograf bin. Jemand der sehr genau plant und mit einem guten Zeitbudget bereit ist, zuzusehen und zu warten, wenn ich ahne, dass am jeweiligen Schauplatz sich Ereignisse zutragen könnten, die in mein Konzept passen. Wenn dann eintritt, was ich sozusagen antizipiert habe, dann bin ich natürlich schon geistig auf die Aufnahme vorbereitet und kann mich ganz auf die Präzision der Gestaltung konzentrieren. Und da glaube ich ganz fest an mein analytisch mathematisch geometrisches Verständnis der Welt. Oder anders gesagt: Ich bewege den Sucher der Kamera wie eine mobile Bühne so lange hin und her bis ich das Gefühl habe, dass sich der Inhalt des Bildes in Flächen und Linien so auflöst und schneidet, dass alle Element in einer gewissen Harmonie „zueinander passen“. Ich glaube auch, dass alle guten Fotografien der Welt ein Parameter eint – und der heißt für mich Sauberkeit im Bildausschnitt. Diese Bilder können dann auch kaum in der Graphik beschnitten werden. Sie sind so präzise gestaltet, dass eine Bearbeitung die Komposition eigentlich „zerstört“. Wenn das alles gelingt wie beschrieben, dann ist eingetreten, was ich einen gelungenen intellektuellen Erkenntnisprozess nennen möchte. Oder einfach: ein saugutes Foto.
HH Vielen Fotografen fehlt für eine erfolgreiche Karriere das kaufmännische Interesse. Wie schwer war es für Dich, Deine Fotos erfolgreich zu vermarkten?
LL Das Problem hat sich nie gestellt. Ich habe mein Leben lang genügend Aufträge gehabt, eigentlich mehr als ich bewältigen konnte. Spaßes halber sage ich auch manchmal, ich war drei Jahrzehnte lang mehr in der Luft als am Boden, so viel bin ich fotografierend um die Welt gereist. Und kaufmännisch wurde ich immer sehr gut von meinen Auftraggebern behandelt. Ich habe viele Jahre auch Werbung, Industrie und Tourismus fotografiert und war „berüchtigt“ dafür, dass ich meinen Auftraggebern eine Erfolgsgarantie gegeben habe: „Wenn Ihnen nicht gefällt was ich liefere, dann brauchen Sie mich nicht zu bezahlen“.
HH Liegt darin der Grund, weshalb Du Verleger wurdest?
LL Nein, Verleger wurde ich aus Frust über meine Buchverleger, bei denen ich immerhin 30 oder mehr Bücher gemacht habe. Die Verleger behandeln Fotografen nicht besonders gut – vor allem auch gemessen an den schreibenden Autoren. Da spielt der Primat des Wortes in unserer Gesellschaft natürlich eine gewisse Rolle. Du weißt schon – Johannes Evangelium: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott …“ undsoweiter. Die Erkenntnis, dass die Fotografie zur Erklärung der Welt sogar noch besser als das Wort taugt, hat sich bei Chefredakteuren bis heute nicht ganz durchgesetzt. Um eine lange Geschichte kurz zu machen erzähle ich was Sache ist in den Worten des französischen Fotografen Pacal Maitre, der mir in der Vorbereitung für sein großes Afrikabuch „Amazing Africa“ gesagt hat: „Mich haben sicher hundert Verleger gefragt, ob ich mit ihnen meine Afrikaarbeiten verlegen möchte. Und alle diese Angebote sind insoferne gleich verlaufen, dass ich immer schon nach dem ersten Gespräch den Eindruck hatte, die wollen nur meine Bilder – aber nicht mich“. Also es geht um Wertschätzung gegenüber der Fotografie. Und um nicht gehaltene Versprechen. Und auch darum, dass auch moderne Verleger wie Kehrer oder Hatje Cantz Fotografen zwar einladen, bei ihnen ihre Werke zu verlegen, aber nur wenn sie Geld mitbringen und dafür bezahlen. Nun, das halte ich für „echt krank“. Und gehört eigentlich verboten. Alle Bücher in der Edition Lammerhuber sind eine Art Hommage an den jeweiligen Fotografen und das Thema. Daher statten wir die Bücher auch wertvoll aus – und vor allem erzählen wir die Themen fertig – und hören nicht bei Seite soundso mit dem Layout auf, weil die Kalkulation „Stop“ sagt. Im übrigen bin ich der Meinung, dass es in vielen Fällen wichtiger ist, das Buch zu machen als es zu verkaufen – um Bilder wie Inhalte für die Nachwelt zu bewahren.
HH Wie unterscheiden sich Dein fotografisches und Dein verlegerisches Engagement?
LL Vom Empathie-Level und meinem Anspruch her – gar nicht. Ich denke, esse, trinke, träume – l(i)ebe Fotografie. Jeden Tag. Und weißt Du was: Jeder Tag ist gut.
HH Der Markt für Fotografie als informatives, dokumentarisches Zeugnis hat sich dramatisch verändert. Das Interesse an hochwertigen Fotos ist durch den rapiden Niedergang der illustrierten Magazine bei den klassischen Printmedien praktisch auf dem Nullpunkt und auch kaum noch finanzierbar. Ist die Fotokunst zum letzten Refugium für Fotografen geworden?
LL Bis auf den letzten Satz Deiner Frage stimmt alles. Aber was hat das mit Fotografie zu tun? Dass sich der Markt für Produkte verändert war schon immer so. Wenn etwas endet entsteht doch auch Platz für Neues. Und die Fotografie wie ich sie heute erlebe ist vielleicht das volatilste Geschäftsfeld der Welt. Das Wort Fotografie greift mittlerweile auch viel zu kurz. Bildgebende Verfahren ist viel zutreffender. Weder Medizin noch Forschung noch unser Alltag und schon gar nicht unsere Zukunft kommen ohne Bilder aus. Fotografie ist allgegenwärtig. Und als Smartphone-Feature ist sie nicht mehr und weniger als die absolute Demokratisierung des Zuganges zum persönlichen kreativen Ausdruck, barrierefrei und 24/7. Das ist eine Kulturrevolution ohne dass viel darüber geredet wird. Darüber hinaus gibt es das erste Mal in der Menschheitsgeschichte ein Komplett-Bild der Welt – und zwar in der Cloud. Fast jeder fotografiert täglich, zeigt es her, postet usw – was ja nichts anderes als Reflexion und damit natürlich Lernen ist. Lernen, die Welt zu verstehen. Ich finde das großartig. Und durch KI wird alles zugänglich, editierbar für alle – so viele neue Möglichkeiten tun sich auf. Fast täglich. Wenn ich nur jetzt ein wenig beim Schreiben daran denke weiß ich, dass ich nachher vor Aufregung gar nicht einschlafen kann … Also wieder anders gesagt: die Zeit der Fotografie ist jetzt und in den nächsten 100 Jahren. Sie wird zur Kunst aller Künste aufsteigen und unser aller Leben massiv verändern und beeinflussen. Ich freue mich, dass ich Zeitzeuge dieser dramatischen Veränderungen sein darf.
HH Als Verleger und Festivalmacher bieten Du und Dein Team, zu dem vor allem auch Deine Frau Silvia gehört, eine großartige Bühne für Fotografen und ihre Bilder. Worin besteht für Dich der Unterschied zwischen einer opulenten Präsentation als Bildband oder den überwältigenden Open Air Installationen im öffentlichen Raum, wie beispielsweise beim Festival La Gacilly-Baden Photo bei Wien?
LL Das kann man nicht vergleichen. Ein Buch kann ein ganz großartiges Ereignis sein. Zu Hause, nur für mich allein, kontemplativ, still, inspirierend … Und natürlich ist auch der Spaziergang durch ein Festival etwas sehr Besonderes. Durch Raum und Zeit zu schreiben in Interaktion mit Wetter und Licht und ja, den großen Formaten – das kann schon was … Mein Gott, Du stellst mir schwere Fragen, lieber Heiner!
HH Mit Deinen Aktivitäten machst Du auf sehr unterschiedliche Art und Weise Fotografie für ein breites Publikum erlebbar. Gibt es für Dich dabei ein bevorzugtes Medium?
LL Fotografie!!!
Woran würdest Du die besondere Strahlkraft der Fotografie festmachen?
An den Menschen die sie in Spitzenleistungen betreiben und an den Menschen, die in den Bildern mit ihrem Leben verewigt werden.
HH Hochkarätige Fotokunst findet in der Regel im musealen Bereich oder in Galerie und auf Kunstmessen statt. Demokratisierungen im von allen zugänglichen, öffentlichen Raum in der Größenordnung und von der zeitlichen Dauer des Festivals La Gacilly-Baden Photo sind eher selten und bilden die Ausnahme. Wo verortest Du die angemessene Präsentation künstlerischer Fotografie?
LL Auch das ist wieder so eine schwierige Frage. Alle genannten Optionen haben ihre Berechtigung und ich mag sie auch alle. Wenn ich allerdings im Sinne der berühmten „Inselfrage“ eine Entscheidung treffen muss, dann wähle ich den öffentlichen Raum. Nirgendwo kann man so viele Bilder hintereinander geistig in sich aufnehmen und bei sich behalten. Das hat gewiss auch mit den Formaten zu tun, aber auch mit den Reizen der Umgebung in die die Bilder eingebettet sind, mit der Infrastruktur von Essen, Trinken, Rasten, mit den Geräuschen von Vögeln oder Wind, mit den Gesprächen die man mit anderen Passanten führen kann, in der Sonne sitzend im Katalog lesen , ich kann zu jeder Tages- und Nachtzeit hingehen – das kann kein Museum und keine noch so großzügige Ausstellungshalle bieten. Das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal von besonderer Güte.
HH Die Faszination fotografischer Bilder wird ja getragen vom Inhalt und dessen gestalterischer Umsetzung, ihrer Ästhetik und Faszination. Gibt es Kriterien, die Du für eine gute Fotografie als unabdingbar ansiehst?
LL Den gesunden humanistischen Geist verbunden mit der Bereitschaft zur intellektuellen Reflexion wie wir in Frieden leben können. Um nicht missverstanden zu werden: Das hat nichts mit Schulbildung zu tun, sondern vor allem mit Herzensbildung.
HH Zu Deinen größten und jüngsten Erfolgen zählen für Außenstehende wahrscheinlich das Fotofestival „La Gacilly-Baden Photo“ sowie der Fotowettbewerb „Global Peace Award“. Gibt es für Dich ein weiteres Ziel, das Du im Bereich der Fotografie noch gern realisieren würdest?
LL Es ist ja fast noch „geheim“ aber ich bereite ein weiteres Fotofestival vor, das sich mit den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) beschäftigt und das Weltklassefotografie mit Weltklassewissenschaft zusammenführt. Aber das, lieber Heiner, ist eine andere Geschichte. Dafür brauchen wir in ein paar Wochen wieder einen Interviewtermin.
HH Lieber Lois, herzlichen Dank, dann freuen wir uns auf das kommende, interessante Interview mit Dir.