Lügen bei Kriegen am Beispiel von El Salvador: Der auf Themen politischer und kultureller Veränderungen in Entwicklungsländern spezialisierte amerikanische Fotograf Robert Nickelsberg arbeitete fast 30 Jahre lang für das ‚Time Magazine‘. Auslöser war für ihn, als 1980 in El Salvador der Bürgerkrieg begann, von dem niemand ahnte, dass dieser über 12 Jahre dauern und fast 100.000 Tote fordern sollte.
Denn die politischen Entwicklungen in Mittelamerika waren damals von einer beunruhigenden Energie geprägt. Nach dem Sturz der Somoza-Regierung in Nicaragua durch die linken sandinistischen Rebellen im Jahr 1979 verstärkten die Vereinigten Staaten ihre Unterstützung der rechten Militärregierung El Salvadors gegen den zunehmenden sowjetischen und kubanischen Einfluss und die linke Ideologie in Lateinamerika, heizten damit allerdings den Bürgerkrieg in El Salvador an.
Das im Kehrer Verlag, Heidelberg, erschienene Buch „Legacy of Lies“, enthält teilweise doppelseitig bisher unveröffentlichte Schwarzweiß-Fotografien, die Robert Nickelsberg für das ‚Time Magazine‘ aufgenommen hatte. Diese werden ergänzt durch Essays renommierter Journalist*innen. So führt Carlos Dada, der Gründer und Chefredakteur des örtlichen Online-Magazins, zunächst als Fachmann unter dem Titel „Wessen Krieg war das eigentlich?“ in das Thema Bürgerkrieg in El Salvador zwischen 1980 und 1992 ein und weiß, dass die damalige Auseinandersetzung zwischen der Armee und der Guerilla in dem mittelamerikanischen Land eine große Zahl von Flüchtlingen den Tod brachte, darunter auch viele Reporter, Journalisten, Fotografen und Kameramänner aus der ganzen Welt. „Jedes Bild von Robert Nickelsberg aus diesem Krieg klagt die Verantwortlichen aus El Salvador und den USA ebenso an wie Soldaten und Guerillakämpfer aus beiden Parteien.“
Jon Lee Anderson, der seine lange Karriere als Mitarbeiter von „The New Yorker“ Anfang der 1980er Jahre mit Beiträgen über Mittelamerika startete, weiß um die vielen nicht eingehaltenen Versprechen vor allem auch der Administration des damals neu gewählten amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Als Beispiel nennt er das Massaker von El Mozote, einem Dorf im Osten von El Salvador. Dies deckte auch die Journalistin Alma Guillermoprieto in mehreren ausführlichen Artikeln für die ‚Washington Post‘ unter dem Titel „Lügen und Täuschungen“ auf. Scott Wallace, der ab 1983 als Journalist die Konflikte in den mittelamerikanischen Staaten El Salvador, Nicaragua und Guatemala verfolgte, wunderte sich immer wieder, wie sich deren Protagonisten ob der Gräueltaten noch gegenseitig in die Augen schauen konnten.
Den gleichen Tenor hat der das Buch beendende Text des Fotografen Robert Nickelsberg selbst, der seine während des Bürgerkriegs in El Salvador entstandenen Fotos und Kontaktbögen erst 2019 wiederentdeckte, zudem die Ähnlichkeiten mit dem Überfall der russischen Armee in Afghanistan 1988 sah. Seine Erkenntnis für derartige kriegerische Auseinandersetzungen lautet: „Es ist immer schwerer geworden, die Wahrheit inmitten aller Lügen zu finden.“ Dies gilt auch mit Blick auf die heutigen kriegerischen Auseinandersetzungen und die damit verbundenen gezielten Falschinformationen auf der ganzen Welt.
Daher der Titel seines Buchs „Vermächtnis der Lügen – El Salvador 1981-1984“. Denn es ist Robert Nickelsberg ganz offensichtlich ein persönliches Anliegen, die Welt anhand der vor über 40 Jahren in Mittelamerika entstandenen Fotografien aufzurütteln.
H.-G. v. Zydowitz
Legacy of Lies. El Salvador 1981–1984
Texte: Jon Lee Anderson, Carlos Dada, Alma Guillermoprieto,
Robert Nickelsberg, Scott Wallace
Format: 22 x 29,3 cm, Halbleineneinband mit Titelschild
192 Seiten mit 105 Duplexabbildungen
Sprache: Englisch
Heidelberg, Kehrer Verlag
ISBN: 978-3-96900-153-0;
Preis 55 Euro