Mit der Berliner Fotografin Marta Astfalck-Vietz (1901–1994) wurde jetzt eine beeindruckend erfinderische Ausnahmekünstlerin der Avantgarde wiederentdeckt. Von 1918 bis 1920 hatte sie in Berlin die Höhere Fachschule für Textil- und Bekleidungsindustrie besucht, anschließend eine Foto-Fachausbildung im Atelier von Lutz Kloss im Passagehaus „Unter den Linden“ gemacht und 1927 ein eigenes Fotoatelier eröffnet.
Das künstlerische Terrain von Marta Astfalck-Vietz sollten Mehrfachbelichtungen und Schattenspiele, surrealistische Bildsprache und Spiel mit Rollenbildern werden. Dabei zeichneten sich ihre Fotografien durch große Experimentierfreude und eine ebenso eigenwillige wie detailgenaue Inszenierung aus. Meistens richtete sie persönlich die Szene und das Licht ein und war auch oft selbst das Modell. Und so entfaltete sie in eigens entwickelten Techniken traumgleiche Realitäten. Beeindruckend erfinderisch sowie in fantastischer Illusion und technischer Innovation wird Marta Astfalck-Vietz in ihren Selbstporträts sichtbar. Abgebildet sind suggestiv gekreuzte Finger, betende, flehende, kokett drapierte Hände im Zusammenspiel mit Pose, Mimik, Kostüm, Dekor und vereinzelt auch passenden Objekten. Sie entwarf und nähte ihre Kostüme selbst, schlüpfte in unterschiedliche Figuren, von der Trinkerin bis zur Dame im biederen Kostüm, nackt oder in Spitze gehüllt. Zudem begann eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Heinz Hajek-Halke (1898-1983). So entstand ein beeindruckendes fotografisches Werk, das bis hin zu Aquarellen mit Pflanzenmotiven in dem im Hirmer Verlag, München erschienenen Band „Inszeniertes Selbst – Marta Astfalck-Vietz“ zusammengefasst ist.
Um zunächst ihr Werk kennenzulernen, beginnt das Buch – unüblich und ohne Bildunterschriften – mit 50 Seiten beispielhafter Fotografien der Künstlerin. Erst danach werden Leben und Werk der Fotografin von Fachleuten beschrieben. So erläutert Stefanie Diekmann unter dem Titel „Pflanzen, Körper, Hände, Objekte der Mise en Scène in Berlins Twenties“ das fotografische Werk von Marta Astfalck-Vietz, während sich Christopher A. Nixon „Mimikry, Travestie und Othering in Berlins Twenties“ widmet.
Birgit Schillack-Hammers schildert unter dem Titel „Marta und Heinz“ die Chronologie der (Kunst-)Freundschaft der beiden Fotokünstler Marta Astfalck-Vietz und Heinz Hajek-Halke. Nach einem weiteren großen Bildblock folgen die Beiträge „Frau unter Glas“ am Beispiel der Fotografie „Selbstmord in Spiritus“ von Katja Reich, „Das Rätsel des Blickes – Astfalck-Vietz‘ Inszenierungen im Spiegel illustrierter Zeitschriften“ von Inga Elsbeth Schwarz, „Recto – Verso – über
Zuschreibungen und Stempel“ von Mette Kleinsteuber sowie schließlich „Ein Leben auf wechselnden Bühnen – eine Hommage“ von Janos Frecot.
Nach dem dritten Bildblock, der auch farbige Pflanzenbilder der Fotografin zeigt, endet das große Buch mit einer „kommentierten Biografie“ der Fotografin von Anne Pavlenko-Vitten, bei der sie Kindheit und Jugend, Ausbildung und Studienzeit sowie, verbunden mit Bildbeispielen, die selbständige Arbeit von Marta Astfalck-Vietz als Fotokünstlerin würdigt.
Mit dem Buch ist eine bisher wenig bekannte Künstlerin und gleichzeitig ein fotografischer Höhepunkt der Goldenen Zwanziger Jahre zu entdecken.
H.-G. v. Zydowitz
Marta Astfalck-Vietz
Inszeniertes Selbst
Hrsg: Thomas Köhler, Katia Reich
256 Seiten, mit 100 Abbildungen
Format: 22,5 x 28,5 cm, Softcover
Sprache: Deutsch, Englisch
München, Hirmer Verlag
ISBN: 978-3-7774-4534-2;
Preis 49,90 Euro











