Alberto Venzago vor einem überdimensional vergrößerten Kontaktbogen mit seinen Yakuza Aufnahmen
Bis zum 14. Mai 2023 zeigt das Ernst Leitz Museum Wetzlar eine Retrospektive des Schweizer Fotografen Alberto Venzago. Die Ausstellung „Alberto Venzago – Stylist der Wirklichkeit“ präsentiert rund 150 Motive eines Fotografen, der in fünf Jahrzehnten mit seinen Bildern tiefe Einblicke in fast unbekannte Welten ermöglicht – seien es Voodoo-Zeremonien in Benin oder seine langjährige Beobachtung der Yakuza, der organisierten Kriminalität in Japan. Eine Ausstellung, die man gesehen haben sollte und die auch eine länger Anfahrt lohnt.
Wer in der Fotografie zuhause ist, der kennt die Namen großer Reportagenfotografen wie Thomas Hoepker, René Burri, Steve McCurry oder Robert Capa, aber und das – völlig zu unrecht – kann man von Alberto Venzago nicht sagen. Zumindest in Deutschland ist der Bildjournalist wenig bekannt – obwohl die Reportagen des vielseitigen Bildjournalisten vielfach international publiziert und ausgezeichnet wurden. Das sollte sich mit der großen eindrucksvollen Ausstellung im Ernst Leitz Museum in Wetzlar ändern.
Bescheiden, sympathisch und interessant wußte Alberto Venzago beim Rundgang durch seine Bilderwelten bei der Eröffnung der Ausstellung, – einfühlsam und informativ vorgestellt von Karin Rehn-Kaufmann, Art Director & Chief Representative Leica Galleries – von seinen Abenteuern rund um die Welt zu erzählen. Alberto Venzago hat die Fähigkeit, mit seiner Kamera ganz nah bei den Menschen zu sein und dabei fast unsichtbar zu bleiben
„Ein wahres Bild ist wichtiger als ein schönes Bild“, so fasst der Fotograf und Filmemacher seine Philosophie gern zusammen. Dabei hat Alberto Venzago in vielen Jahrzehnten ganz unterschiedliche Themen mit seiner Leica festgehalten und fast alle Formen der Fotografie zwischen Dokumentation und freier Inszenierung ausgelotet. Er hat Zeitgeschichte ebenso fotografiert wie Prominente und in seinen Aufnahmen immer den Menschen in den Mittelpunkt gestellt.
Ob Reportagen aus dem Iran zur Zeit der islamischen Revolution, die Abholzung des Regenwalds oder Kinderprostitution in Manila, packende Bilder, die zwar in der umfangreichen Ausstellung nicht gezeigt werden nicht zuletzt weil – wie die Kuratorin Karin Rehn-Kaufmann erklärte, auch Kindern und Jugendlichen der Besuch ohne Warnhinweise ermöglicht werden sollte. Hier wurde die Grenze bei der Yakuza, der japanischen Mafia, gezogen, wo unter anderem ein erschreckendes Bild den abgeschnittenen Finger des Mitglieds einer Mafiafamiie zeigt. „Anders als bei der italienischen Mafia, wo die Mitglieder weiter ihren Ursprungsfamilien verbunden bleiben, bricht man in Japan als Mitglied mit seiner Vergangenheit und wird sie niemals mehr treffen“, berichtet Alberto Venzago, „die neue Mafiafamilie ersetzt vollständig die alte.“ In den 1980 Jahren kam Venzago den Yakuza Familien so nahe wie wohl kein anderer Fotograf. Über fünf Jahre lang näherte er sich bei vielen Besuchen den Mitgliedern und lernte ihr Leben und ihre Riten kennen. Ironie, dass sie nachdem er ihnen seine Schwarzweiß-Aufnahmen gezeigt hatte, ein wenig beleidigt waren, dass sie ihm nicht einmal Farbe wert waren.
In den fünf Jahrzehnten seiner Arbeit hat der Fotograf aber nicht nur fremden Welten nachgespürt, sondern ebenso zahlreiche berühmte Musiker, Schauspieler, Maler und Sportler porträtiert. Auch in diesem Bereich sind Alberto Venzago Erzählungen ebenso spannend wie seine Fotografien. So lässte er einem an einer Begegnung mit Tina Turner teilhaben, mit der er seit langem befreundet ist. Er fotografierte sie einmal bei einer Meditationsübung zwischen zwei Mantras, die sie ihm mit ihrer unglaublichen Stimme vorsang, wo er sich kaum traute die Kamera zu bedienen und Angst hatte den Moment ihrer Versunkenheit mit dem lauten Klack der damals verwendeten Hasselblad zu zerstören. Heute ist dies sein Lieblingsbild von Tina Turner. Sie mochte das Bild nicht und fand, dass sie darauf wie tot aussieht. Zwei Jahre musste Venzago sie beknien, es veröffentlichen zu dürfen. Jetzt ist es in Wetzlar zu sehen.
Sehr persönliche Porträts internationaler Stars sowie eine Vielzahl freier Motive demonstrieren die Vielfalt seines kreativen Schaffens. Deutlich zeigt sich immer wieder, wie sich seine Karriere zwischen Dokumentation und Inszenierung bewegt und wie genau er es versteht, die Welt in all ihren faszinierenden Facetten festzuhalten. Ein Talent auf das er auch selbst sehr stolz ist, sich fast unsichtbar zu machen und damit seinen „Modellen“ sehr nahe zu kommen.
Für Alberto Venzago gab es aber auch Auftragsarbeiten wie vom Stern, für den er den Fussballstar Pelé im Hotel Savoy in Zürich fotografierte. Einen Fussball fand er als Requisite zu simpel und entschied sich zu den Aufnahmen, einen aufblasbaren Globus mitzunehmen, mit dem der Weltfussballer begeistert spielte. Als Hintergrund improvisierte der Fotograf und bediente sich eines Bettlakens.
Alberto Venzago, am 10. Februar 1950 in Zürich geboren, entschied sich nach dem Studium der Heilpädagogik und der Klarinette mit Mitte zwanzig als Autodidakt für die Fotografie. Der Wunsch Musiker zu werden wie sein Vater und sein Bruder, zerschlug sich durch einen Motorradunfall. Wenn schon nicht selbst musizieren so konnte Venzago doch zahlreiche Musiker und ihre Eigenheiten im Bild einfangen.
Rasch erfolgreich, arbeitete er vier Jahre für die Agentur Magnum Photos, publizierte u. a. in Life, Stern und Geo. Er veröffentlichte zahlreiche Fotobände, u. a. Yakuza, Inside Report über die Japanische Mafia (1990) und Voodoo: Mounted by the Gods (2003), der begleitend zu Venzagos gleichnamigen Film erschien. Weitere Filme waren etwa Mythos Gotthard: Der letzte Streckenwärter (2008) oder Mein Bruder der Dirigent (2007). Er war Kameramann bei mehreren Dokumentarfilmen, zum Beispiel bei Wim Wenders’ The Invisibles: Congo (2007) oder Jagdzeit – Den Walfängern auf der Spur (2009). Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u. a. den ICP Infinity Award.
Alberto Venzago lebt und arbeitet in Zürich.