Die Werkschau das deutschstämmigen, amerikanischen Fotografen Abe Frajndlich im Kunstfoyer der Kulturstiftung der Bayerikschen Versicherungskammer unter dem treffenden Titel Chameleon ist eine nochmals um rund vierzig Fotografien erweiterte Ausstellung des Lebenswerks des Künstlers, dessen ikonischen Porträts nicht selten auch die abgebildeten Künstler zu Ikonen machte. Jedes einzelne Foto der Ausstellung hält nicht nur einen einzigartigen Moment im Leben des Porträtierten fest, sondern erzählt wichtige Teile seiner Geschichte und gibt Einblicke in sein Leben.
Celina Lunsford, Leiterin des Fotografie Forums Frankfurt, die schon die Ausstellung in ihrem Haus in Frankfurt kuratiert hat, konnte in den großzügigen Räumen des Kunstfoyers das Spektrum der Exponate nochmals erweitern, so daß die in Münchenen gezeigte Werkschau einen noch tieferen Einblick in die Arbeit und die Philosophie der Porträtfotografie von Abe Frajndlich gewährt.
Isabel Siben von der Kulturstiftung der Bayrischen Versicherungskammer, die diese Ausstellung nach München geholt hat, vergleicht sie mit einer Pralinenschachtel, in der jede einzelne konzentriert alle Kallorien enthält, um ein Feuerwerk an Geschmackswelten, im Fall von Abe Frajndlich an Bebenswelten zu entfesseln.
Das liegt nicht zuletzt daran, das sich Abe Frajndlich stets intensivst auf die Personen, die er fotografieren sollte und wollte vorbereitet hat. Seine Bilder sind keine Schnappschüsse. Es sind inszenierte Wahrheiten und sind zum Teil vollgestopft mit Zitaten aus den Lebenswelten der Porträtierten.
Abe Frajndlich hat Kreative aus Musik, Kunst und Showbiz porträtiert, die Grenzenlosigkeit der Großstadt surreal abgebildet und die Größen der Fotogeschichte vor die Kamera geholt. Mit ABE FRAJNDLICH. CHAMELEON präsentiert das Kunstfoyer die schillernde Themenvielfalt des 1946 in Frankfurt am Main geborenen, amerikanischen Fotografen und macht dabei auch Facetten seiner Biografie sichtbar, die zwischen vielen Welten changiert.
Zu sehen sind rund 200 Arbeiten ab den 1970er-Jahren, darunter Frajndlichs früheste Vintage-Prints aus Cleveland. Straßen, ob in New York, wo der Fotograf lange Zeit zu Hause war, oder in anderen Orten seiner Lebensreise, sind immer wieder die Bühne seiner Bilder. Eine zufällige Begegnung in den Straßen Londons mit John Kobal, dem Sammler und Verleger von Hollywood-Porträts des 20. Jahrhunderts, führten Abe Frajndlich dann zu »seinen« Themen: Identität, Freiheit und Fotografie.
Ein Schwerpunkt der Retrospektive präsentiert Porträts von Künstlerinnen und Künstlern, die Abe Frajndlichs Leben beeinflusst haben. Das sind allen voran die Performerin Rosebud Conway, genannt »Rosie«, sowie Minor White, Fotograf, Gründer des Magazins Aperture und Frajndlichs fotografischer Mentor. Nach seinem Buch Lives I’ve never Lived über Minor White beschloss Frajndlich, Bilder von Fotografinnen und Fotografen zu machen, die aus seiner Sicht das 20. Jahrhundert beeinflusst hatten. Daraus wurde Masters of Light – Frajndlichs erste große Serie in Farbe, die als Publikation und Ausstellung von Eastman Kodak zum 150-jährigen Jubiläum der Fotografie produziert wurde. Jedes dieser inszenierten Bilder der Ikonen spielt ganz individuell auf Aspekte ihres Lebens oder ihrer Arbeit an.
Im Auftrag des FAZ-Magazins konnte Frajndlich in den 1980er- und 1990er-Jahren seinen persönlichen Einblick in die amerikanische Kunstszene geben. Beispiele dafür sind Atelier-Stories mit Cindy Sherman, Nancy Spero und David Ireland, die hier erstmals zu sehen sind.
Mal mit einem Spiegel, mal mit einer Maske oder einer Gruppe von Zuschauerinnen und Zuschauern verwandelt Frajndlich Realitäten in Illusionen. So öffnet er dem Publikum einen Zugang zu Emotionen oder Ironie, die sich in seinen experimentellen Stadtszenen ebenso zeigen wie in den sinnlichen Assoziationen aus seinem Buch Eros Eterna, ohne die das Chamäleon Frajndlich nicht denkbar wäre. Mit der geheimnisvollen Mehrdeutigkeit, die vielen seiner Bilder
innewohnt, gelingt es Abe Frajndlich meisterlich, die Geschichte der Fotografie, die Vielfältigkeit des Mediums und den Blick der Betrachter auf sich selbst miteinander zu verknüpfen.
Abe Frajndlich lernte Minor White 1970 bei einem Workshop kennen, den White in Cleveland gab. Abe war sofort von Whites »fast beschwörender Stimme« fasziniert und bat den renommierten Künstler um Rat zu seinem gerade begonnenen fotografischen Weg. White begriff die Fotografie als Ritual, als Metapher für das Leben. Sein Einfluss auf Abe Frajndlich zeigt sich in dessen Fotografien durch Aspekte von Wahrnehmung, den Einsatz von Masken und verschiedene Identitätsrollen.
»Beide Fotografen haben Leben und Werk nahtlos ineinander verwoben, ohne dabei dem Betrachter zu viel zu verraten«, schreibt Peter C. Bunnell im Vorwort zu Frajndlichs Buch Lives I’ve Never Lived. Diese Publikation zeigt den Mentor Minor White so, wie ihn die meisten nicht kannten – durch die Augen einer vertrauten Beziehung zwischen Freunden.
Für Minor White war »die Fotografie für unser Leben so wichtig wie das Atmen«, und er nutzte sie als Werkzeug, um seinen Studierenden und seiner Gemeinschaft nicht nur Kunst, sondern auch Lebensweisen zu vermitteln. Er arbeitete an der California School of Fine Arts (heute das San Francisco Art Institute), am George Eastman House und am Massachusetts Institute of Technology und war einer der Gründer des Magazins Aperture. Durch seine Fotografie, Vorträge, Schriften und Lehrtätigkeit gilt Minor White als einer der einflussreichsten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts.
Die Künstlerin Nancy Spero wurde zum Motiv zahlreicher Frajndlich-Fotosessions: Mal theatralisch, mal verspielt, fertigte der Fotograf Porträts und später auch Collagen von ihr an. Spero gilt als eine der wichtigsten frühen Stimmen der feministischen Kunst und schuf Arbeiten auf Papier, ironische cartoonhafte Gesichter und Figuren, Installationen und Skulpturen zu Frauenfeindlichkeit, Krieg und Gewalt. Geboren in Cleveland, wo auch Frajndlich seit seinem zehnten Lebensjahr aufwuchs, wurden Spero und ihr Partner, der Maler Leo Golub (1922–2004), zu Freunden von Abe Frajndlich und seiner Frau Cynthia, als sie später alle in New York City lebten. Im Jahr 2019 widmete das Museum Folkwang, Essen, Nancy Spero eine große Einzelausstellung.
David Ireland war fester Teil der Konzeptkunstbewegung der Bay Area. Abe Frajndlich fotografierte Ireland über viele Jahre. Sie arbeiteten gemeinsam an einer Multiple Artist Box im Geiste von Marcel Duchamp mit Objekten von Ireland und Fotografien von Frajndlich. Irelands Haus in der 500 Capp Street in San Francisco war immer ein Kunstwerk und ist heute Museum sowie Projektraum für Künstler-/Künstlerinnenresidenzen. Die Broom Collection with Boom, hier als Künstlerporträt von Abe Frajndlich, ist eines von Irelands zentralen Kunstwerken.
Abe Frajndlich fotografierte Cindy Sherman erstmals 1984, kurz vor ihrer Ausstellungseröffnung im Akron Art Institute in Ohio. Um das Eis zwischen ihnen zu brechen, hatte Abe verschiedene Masken mitgebracht, die ihr helfen sollten, »ihre Privatsphäre vor einem völlig Fremden zu wahren«. Drei Jahre später, 1987, beauftragte Vanity Fair ihn, Cindy erneut zu fotografieren; drei Tage Zeit gewährte die Künstlerin ihm für diese zweite Fotosession. Cindy Sherman ist bekannt für ihre Selbstporträts, darunter ihre bahnbrechende Schwarzweiß-Serie Untitled Film Stills, in denen sie sich selbst mit Make-up, Perücken und Requisiten inszeniert und verschiedene Szenarien mit generischen weiblichen Charakteren nachstellt, um über Stereotype im Film zu reflektieren. Neben zahlreichen internationalen Awards wurde sie im Jahr 2019 mit dem Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.
Abe Frajndlich ließ sich auch von zwei Performance-Künstlerinnen inspirieren: Rosebud »Rosie« Conway (1949–1978, USA) und Minami Azu (*1978, Japan).
Rosie war angehende Schauspielerin und Pantomimin, als sie Abe 1970 kennenlernte. Sie durchlebten turbulente Zeiten, die er immer wieder in Fotografien festhielt. Ob bei Museumsbesuchen, Ausflügen aufs Land oder im Privaten, immer wieder porträtiert er Rosie. Künstlerin und Künstler verband eine sowohl professionelle als auch emotionale Beziehung. Rosebud Conway war der Kunst so sehr verschrieben, dass sie sich eines Tages ihren Schädel durchbohrte,
um die ultimative Transzendenz zu erlangen. Nach ihrer Genesung studierte sie in Paris unter Jacques Lecoq und trat später im Cirque d’Hiver als Seiltänzerin auf. Am 24. Juni 1978, zehn Tage nach Rosies frühem Tod in den USA, wird Minami in Japan geboren.
Frajndlichs Faszination für Butoh, eine Form japanischen Tanztheaters mit Ursprung in der Nachkriegszeit der späten 1950er Jahren, begann mit seinen Besuchen bei Minor White. 2008 fotografierte Frajndlich zufällig die in der New Yorker U-Bahn performende japanische Butoh Tänzerin Minami Azu. Bald reiste er nach Japan, um Nobuyoshi Araki und Kishin Shinoyama zu porträtieren, und traf Minami in ihrer Heimat, um weitere Aufnahmen zu machen. Trotz oder aufgrund ihrer sprachlichen Hürden folgte in den Jahren darauf eine intensive Zusammenarbeit.
Plakat zur Ausstellung Abe Frajndlich.Chameleon
Abe Frajndlich. Chameleon
13.12.2023 – 01.04.2024
ABE FRAJNDLICH. CHAMELEON wurde kuratiert von Celina Lunsford, künstlerische Leiterin des FFF, und den Co-Kuratorinnen Esra Klein und Andrea Horvay
Versicherungskammer Kulturstiftung
Kunstfoyer | Maximilianstr. 53 | 80538 München
www.versicherungskammer-kulturstiftung.de