Für seine Bilderserie „Our War“, mit der er an seinen am 5. April 2011 im libyschen Bürgerkrieg erschossenen Fotografen Anton Hammerl erinnert, wurde der Portugiese Edgar Martins von der Jury der Sony World Photography Awards als „Photographer of the Year 2023“ ausgezeichnet. Um herauszufinden, wo sich die sterblichen Überreste seines Freundes befinden, reiste Martins mit Unterstützung eines Bezinschmugglers heimlich ins Land, um dort aber sehr bald festzustellen, dass e er wegen der dortigen instabilen Lage nicht in der Lage sein würde, eine gründliche Recherche durchzuführen. Dennoch wollte er seinem Freund ein Denkmal setzen. Aber wie erzählt man eine Geschichte, wenn es keine Zeugen, keine Beweise, kein Thema gibt?
In „Our War“ beschwört Edgar Martins die abwesende Hauptperson herauf, indem er eine Reihe von Porträts von Menschen zusammenstellte, die mit Anton Hammerl in Verbindung standen oder in die Kämpfe verwickelt waren. Darunter finden sich beispielsweise Fotografien von Freiheitskämpfern oder deren Nachkommen, ehemaligen Milizionären, örtlichen Zivilisten, Gaddafi-Loyalisten oder -Doppelgänger. Martins hat diese Menschen ausgewählt, weil sie Anton Hammerl entweder ähnelten und ähnliche Ideen und Überzeugungen vertraten oder weil sie Martins an Hammerl in verschiedenen Phasen ihrer Freundschaft erinnerten. Das Projekt untersucht die Idee von Abwesenheit, das Dokumentieren eines Menschenlebens, die Würdigung einer Person und die Trauer um sie. Zugleich reflektieren die Arbeiten die Rolle der Fotografie in einem Konfliktgebiet.
Das Ungewöhnliche, das diesen Arbeiten innewohnt, ist die Idee des Fragmentarischen gepaart mit den vielen Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten, die jeden Krieg begleiten.
„Diese Auszeichnung ist eine große Ehre, und obwohl ich Preise eher gelassen betrachte und mir bewusst bin, dass die Auswahl dabei immer subjektiv ist, bin ich sehr bewegt, waren doch für den diesjährigen professionellen Wettbewerb mehr als 180.000 Beiträge eingegangen. Zugleich berührt mich aber gerade diese Auszeichnung sehr stark, weil ich damit meinen Freund auf der Weltbühne ehren und Aufmerksamkeit für die Notlage seiner Familie gewinnen kann, die immer noch versucht, seine sterblichen Überreste zu finden. Es gibt keinen Fotopreis, der eine so große Reichweite hat wie die Sony World Photography Awards“, bedankte sich Edgar Martins für die Auszeichnung.
Mike Trow, Jury-Vorsitzender beim professionellen Wettbewerb 2023, kommentierte das preisgekrönte Projekt von Edgar Martins folgendermaßen: „In der Fotografie geht es so oft um Erinnerung und das Wesen der Erinnerung. Erinnerung zu bewahren bedeutet, dass wir uns Ereignisse aus der Vergangenheit, und das, was wir darüber wissen, bewusst ins Gedächtnis rufen – sei es durch direkte Erfahrung oder mithilfe der unzähligen Medien, die uns zur Verfügung stehen. In Our War nutzt Edgar Martins Erinnerung und Erfindungsgabe, um uns eine ausdrucksstarke und persönliche Serie von Porträts vorzustellen, die die letzten Tage seines Freundes, des Fotojournalisten Anton Hammerl, zu erklären versuchen. Martins Arbeit demonstriert eindrucksvoll, wie weit Fotografen gehen, um eine Geschichte zu erzählen und Bedeutungszusammenhänge herzustellen. Jedes Bild vermittelt ein Gefühl für die Reise, die Anton Hammerl unternommen hat, ohne jemals explizit zu sagen, wie sein Leben endete. Die gesamte diesjährige Jury hat dieses Projekt und seine erzählerische Kraft mit höchstem Lob bedacht.“
Martins erhält ein Preisgeld in Höhe von 25.000 US-Dollar und eine digitale Fotoausrüstung von Sony. Darüber hinaus wird im Rahmen der Ausstellung zu den Sony World Photography Awards im nächsten Jahr eine Einzelausstellung mit Arbeiten von Edgar Martins stattfinden. Diese Einzelausstellungen bieten den Preisträgern die Möglichkeit, Fortsetzungen ihres prämierten Projekts oder neue Werke zu präsentieren und so ihre Arbeit noch bekannter zu machen.
Neben dem Photographer of the Year Award 2023 wurden auf der Gala-Veranstaltung zur Preisvergabe auch die Gesamtsieger der Kategorien im Profi-, Offenen, Studenten- und Jugendwettbewerb bekannt gegeben.
Nachhaltigkeitspreis für Alessandro Cinque
Neu hinzugekommen bei den Sony World Photography Awards ist der Preis für Nachhaltigkeit, mit dem die Arbeiten des italienischen Fotografen Alessandro Cinque ausgezeichnet wurden. Der mit 5.000 US-Dollar dotierte Preis wurde in Zusammenarbeit mit der United Nations Foundation und der Picture This-Initiative von Sony Pictures entwickelt. Er wird für Fotoprojekte über Menschen und Organisationen vergeben, deren Engagement einem der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen dient. Alessandro Cinque (Italien) ist der erste Gewinner dieses neuen Preises. Seine Fotoserie Atrapanieblas (Nebelnetze), dokumentiert eine innovative Lösung zur Bekämpfung der chronischen Wasserknappheit in Lima, Peru. Sie zeigt, wie mithilfe von Nebelnetzen winzige Tröpfchen Feuchtigkeit in der Luft aufgefangen und so täglich rund 200 Liter Wasser für die Anwohner gewonnen werden können.
„Ich bin sehr geehrt und glücklich, diesen Preis gewonnen zu haben“ bedankte sich Alessandro Cinque bei den Veranstaltern. „Mir gefällt die Vorstellung, dass wir durch mein Bild und dank der großen Reichweite dieser Awards dazu beitragen können, den Menschen eine Stimme zu geben, die täglich mit Wassermangel zu kämpfen haben – ein Problem, das laut den Vereinten Nationen mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung betrifft. Es ist wichtig zu zeigen, was in Lima zur Bekämpfung dieses Mangels getan wird. Ich hoffe, dass solche Bilder aufrütteln und wir endlich verstehen, wie wichtig es ist, gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen und eine gerechtere Welt für alle zu schaffen.“
Gewinner:innen in den Profi-Kategorien.
Für einen Eklat bei der Preisvergabe sorgte der Deutsche Boris Eldagsen, dessen mithilfe von KI generiertes Bild mit dem Titel „Pseudomnesia/The Electrician“ als Sieger in der Kategorie“Kreativ“ ausgezeichnet werden sollte. Während der Gala feierte er in einer Ansprache diesen Sieg als einen historischen Moment und gab bekannt, den Preis abzulehnen, da seine Arbeit keine Fotografie ist. Schade nur, das die Grundsatzdiskussion, ob KI-basierte Bilder Fotos sind oder nicht, und wie mit Ihnen umzugehen sei, in der aktuellen Berichterstattung mehr Aufmerksamkeit erhielt, als die vielen übrigen in den Profi-Kategorien ausgezeichneten, wichtigen fotografischen Werke.
Die Gewinner:innen im Profi-Wettbewerb wurden von einer Fachjury für ihre herausragenden, fünf bis zehn Bilder umfassenden Serien ausgezeichnet. Das breite Themenspektrum reichte von Geschichten zu Krieg und Versöhnung über eine Untersuchung der Frage, wie Bildung die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen fördern kann, bis hin zu originellen Ansätzen in den Genres Stillleben und Sport.
Alle Kategoriegewinner:innen erhalten eine digitale Fotoausrüstung von Sony. Die Gewinner in diesem Jahr sind:
ARCHITEKTUR & DESIGN
Gewinner: Fan Li (Festlandchina) für seine Serie Cement Factory (Zementfabrik)
Finalisten: 2. Platz Servaas Van Belle (Belgien); 3. Platz Andres Gallardo Albajar (Spanien)
KREATIV
GEWINNERIN: Lee-Ann Olwage (Südafrika) für ihre Serie The Right to Play (Das Recht zu spielen)
Finalist:innen: 2. Platz Noemi Comi (Italien); 3. Platz Edoardo Delille & Giulia Piermartiri (Italien)
DOkUMENTARISCHE PROJEKTE
GEWINNER: Hugh Kinsella Cunningham (UK) für seine Serie The Women’s Peace Movement in Congo
(Die Frauen-Friedensbewegung im Kongo)
2. Platz Mohammed Salem (Palästina); 3. Platz Tariq Zaidi (UK)
UMWELT
GEWINNER: Marisol Mendez (Bolivien) & Federico Kaplan (Argentinien) für ihre Serie Miruku
2. Platz Jonas Kakó (Deutschland); 3. Platz Axel Javier Sulzbacher (Deutschland)
LANDSCHAFT
GEWINNER: Kacper Kowalski (Polen) für seine Serie Event Horizon (Event-Horizont)
2. Platz Bruno Zanzottera (Italien); 3. Platz Fabio Bucciarelli (Italien)
PORTFOLIO
GEWINNER: James Deavin (UK) für seinen Beitrag Portfolio
2.Platz Marylise Vigneau (Frankreich); 3. Platz Marjolein Martinot (Niederlande)
PORTRÄT
GEWINNER: Edgar Martins (Portugal) für seine Serie Our War (Unser Krieg)
2. Platz Ebrahim Noroozi (Iran); 3. Platz Jean-Claude Moschetti (Frankreich)
SPORT
GEWINNER: Al Bello (USA) für seine Serie Female Pro Baseball Player Succeeds in All Male Pro League
(Profi-Baseballspielerin glänzt in reinem Männer-Profiteam)
2.Platz Andrea Fantini (Italien); 3. Platz Nicola Zolin (Italien)
STILLLEBEN
GEWINNER: Kechun Zhang (Festlandchina) für seine Serie The Sky Garden (Der Himmelsgarten)
2. Platz Carloman Macidiano Céspedes Riojas (Peru); 3. Platz Jagoda Malanin (Polen)
NATUR & WILDLIFE
GEWINNER: Corey Arnold (USA) für seine Serie Cities Gone Wild (Stadtwildnis)
Platz Adalbert Mojrzisch (Deutschland); 3. Platz Sriram Mural (Indien)
Mehr über die Projekte der diesjährigen Gewinner:innen und Finalist:innen erfahren Sie auf den Gewinner:innen-Galerien im Internet.
OPEN PHOTOGRAPHER OF THE YEAR
Der offene Wettbewerb zelebriert die Macht starker Einzelbilder. Die prämierten Arbeiten zeichnen sich durch ihre bemerkenswerte visuelle Erzählweise aus, die mit großem technischem Können einhergeht.
Aus den zehn Kategoriegewinnern und -gewinnerinnen im offenen Wettbewerb wurde Dinorah Graue Obscura (Mexiko) zum Open Photographer of the Year 2023 gekürt. Sie erhält ein Preisgeld in Höhe von 5.000 US-Dollar sowie eine digitale Fotoausrüstung von Sony.
Graue Obscura wird für ihr faszinierendes Bild Mighty Pair (Mächtiges Paar) ausgezeichnet, das sie in der Kategorie Natur & Wildlife eingereicht hatte. Die Schwarzweiß-Fotografie zeigt zwei Schopfkarakaras, die zusammen auf einem Ast sitzen und unverwandt in dieselbe Richtung blicken. Der Fotografin kam es geradezu vor, als würden die majestätischen Raubvögel für die Kamera posieren, da sie so regungslos und in der gleichen Haltung nebeneinandersaßen und in dieselbe Richtung in die Ferne blickten.
„Es ist eine enorme Ehre, den Titel Open Photographer of the Year 2023 zu erhalten. Ich bin mir sicher, dass diese Anerkennung dazu beitragen wird, meine Arbeit als Tierfotografin bekannter zu machen, mit der ich den Menschen die Schönheit, die ich in der Natur sehe, nahebringen möchte“, sagte Dinorah Graue Obscura zu ihrer Auszeichnung. „Ich glaube, dass die Fotografie ein sehr wirkungsvolles Instrument ist, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie fragil die Natur ist.“
STUDENT PHOTOGRAPHER OF THE YEAR
Beim diesjährigen Studentenwettbewerb waren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gebeten worden, eine Serie mit fünf bis zehn Bildern zum Thema In a Changing World (In einer Welt im Wandel) einzureichen.
Long Jing (Festlandchina), der an der Yunnan Arts University studiert, wurde zum Student Photographer of the Year gekürt und gewinnt eine Fotoausrüstung von Sony im Wert von 30.000 Euro für seine Hochschule. In seiner preisgekrönten Serie Keep the Yunnan Opera (Bewahrt die Yunann-Oper) blickt Long Jing hinter die Kulissen und zeigt die immer weniger werdenden Opernensembles und Zuschauer der Yunnan-Oper. In lebhaften Farben feiert die Serie die zahlreichen Kulturen im Südwesten Chinas, die sich in den Aufführungen widerspiegeln.
Zu seinem Sieg sagte Long Jing: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, und mein Ziel war es schon immer, Bildern Wärme zu verleihen und die Geschichten sichtbar zu machen, die hinter ihnen stehen. Die Wahl zum Student Photographer of the Year 2023 gibt mir die Zuversicht, dass ich in Zukunft noch mehr ansprechende Werke voller Wärme werde schaffen können.“
YOUTH PHOTOGRAPHER OF THE YEAR
Beim diesjährigen Jugendwettbewerb sollten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit dem Thema „Your Everyday“ (Dein Alltag) auseinandersetzen und ihre einzigartige Sicht auf die Welt vermitteln, die sie umgibt. Aus einer Shortlist mit sieben Fotografen und Fotografinnen unter 19 Jahren wurde Hai Wang (Festlandchina, 17 Jahre) zum Youth Photographer of the Year ausgewählt. Er erhält eine digitale Fotoausrüstung von Sony und kann sich auf weltweite Beachtung freuen.
Wangs preisgekröntes Foto zeigt schier endlose Reihen leerer, bunter Stühle für eine Schulfeier, die dann wegen der COVID-19-Pandemie abgesagt wurde. Die starke Komposition und der markante Bildausschnitt unterstreichen das Gefühl der Leere und verleihen dem Bild eine surreale Qualität.
„Ich weiß die Aufmerksamkeit und Unterstützung zu schätzen, die die Öffentlichkeit jugendlichen Fotografen weltweit entgegenbringt“, sagte Hai Wang zu seiner Auszeichnung. Als Mitglied dieser Altersgruppe kann ich sagen, dass wir versuchen, die Welt auf ganz neue Art und Weise zu verändern und keine einzige Sekunde unseres Lebens zu verschwenden.“
OUTSTANDING CONTRIBUTION TO PHOTOGRAPHY
Der diesjährige Preis für herausragende Leistungen für die Fotografie ging an die gefeierte Fotografin Rinko Kawauchi. Kawauchi ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der japanischen Gegenwartsfotografie und hat sich internationales Renommee mit Bildern erworben, die flüchtige, intime Momente des täglichen Lebens festhalten und sich durch strahlendes Licht auszeichnen.
Bei der Ausstellung zu den Sony World Photography Awards 2023 werden mehr als zwanzig Arbeiten der Fotografin zu sehen sein. Die Auswahl wurde von der Fotografin selbst getroffen. Sie umspannt mehr als zwanzig Jahre ihrer Karriere und hebt wichtige Meilensteine und Themen aus einigen ihrer bekanntesten Serien hervor: Illuminance (2011), AILA (2004), Utatane (2001) und Ametsuchi (2013).
ADAM FERGUSON | EINZELAUSSTELLUNG
Neben den Arbeiten der diesjährigen Gesamtsieger und Kategoriegewinner umfasst die Ausstellung der Sony World Photography Awards 2023 auch eine Solo-Schau von Adam Ferguson (Australien),dem Photographer of the Year 2022.
Der renommierte Fotograf präsentiert hier eine Auswahl von Bildern aus seiner Serie Silent Wind, Roaring Sky (Stummer Wind, tosender Himmel), die das Leben in entlegenen Siedlungen im australischen Outback dokumentiert. Die Ausstellung zeichnet wiederholte Reisen tief ins ländliche Australien nach und zeigt dabei eine Landschaft und Gesellschaft, die sich in dramatischem Wandel befindet.
Die Sony World Photography Awards werden von der World Photography Organisation veranstaltet. Sie sind einer der wichtigsten Fixpunkte im globalen Fotokalender. In diesem Jahr werden sie zum 16. Mal vergeben. Die Teilnahme ist kostenlos. Auf einer Pressekonferenz in London gab Yann Salmon Legagneur, Head of IP&S Marketing, Sony Europe bekannt, dass Sony die Unterstützung der SWPA bis 2027, also dem 20. Jubiläumsjahr verlängert hat.
Jahr für Jahr sind die Preise ein globales Sprachrohr für die Fotografie und bieten einen wichtigen Einblick in die zeitgenössische Fotografie. Sowohl für etablierte als auch für aufstrebende Künstler bieten sie eine erstklassige, kostenlose Möglichkeit, seine Arbeiten prominent zu präsentieren. Im Rahmen der Awards werden auch die weltweit einflussreichsten Künstler, die im Medium Fotografie tätig sind, mit der “Outstanding Contribution to Photography“ Award geehrt, den 2023 die renommierte japanische Fotografin Rinko Kawauchi erhielt. Sie reiht sich ein in eine illustre Liste von Namen wie Martin Parr, William Eggleston, Candida Höfer, Nadav Kander, Gerhard Steidl, Edward Burtynsky und Graciela Iturbide. Bei den Awards werden die Arbeiten der Gewinner und der in die engere Wahl gekommenen Fotografen in einer prestigeträchtigen jährlichen Ausstellung im Somerset House in London gezeigt. Auch in Deutschland werden die Bilder wie jedes Jahr diesmal wieder in der Galerie des Willy Brandt Hauses in Berlin zu sehen sein.
Die Einreichungsfrist für die Sony World Awards 2024 beginnt am 1. Juni 2023. Mehr dazu finden Sie auf der Webseite der Awards.