Interview mit Karin Rehn-Kaufmann, Art Director und Generalbevollmächtigte Leica Galerien International, zum Leica Oskar Barnack Award, einem der bedeutendsten Fotografiepreise weltweit und seine Auswirkung auf die Karriere der Finalisten:innen und Gewinner:innen.
das fotoportal, dfp: Die Voraussetzungen für die Teilnahme am Leica Oskar Barnack Award (LOBA) haben sich geändert. Was ist jetzt anders geworden und warum?
Karin Rehn-Kaufmann (KRK): 40 Jahre lang konnte sich jede/r Fotograf:in für die Teilnahme an unserem Leica Oskar Barnack Award bewerben. Zum 40. Jubiläum habe ich den LOBA dann von einem freien zu einem nominierten Award weiterentwickelt und 2020 wurden ca. 90 Nominatoren aus 60 Ländern berufen, die jeweils drei Fotograf:innen für die Hauptkategorie nominieren konnten.
dfp: Wer hat denn die Nominatoren bestimmt?
KRK: Das habe ich mit Unterstützung verschiedener Persönlichkeiten aus der Fotoszene umgesetzt. Museumsdirektor:innen, Publisher, Galerist:innen, Fotograf:innen, ehemalige LOBA Gewinner:innen… alles spannende Expert:innen, die sich in der Fotoszene gut auskennen.
Dfp: Hatte die Umstellung die erhoffte Wirkung?
KRK: Schon 2020, im Jubiläumsjahr, war erlebbar, dass sich die Visibilität und die Qualität der eingereichten LOBA Serien durch die Nominatoren deutlich gesteigert haben. Gefreut hat mich, dass auch besonders viele junge Fotografen UND Fotografinnen nominiert wurden. Die unterschiedlichen Themen aus den verschiedensten Ländern sowie auch die fotografische Vielfalt erstaunen mich immer wieder aufs Neue.
dfp: Welche Rolle spielt das Thema des LOBA für die Qualität der Nominierungen?
KRK: Mit nun fast 43 Jahren zählt der LOBA zu einem der ältesten und renommiertesten Awards für Fotografie. Seit Beginn haben wir das gleiche Thema: „der Mensch in seiner Beziehung zur Umwelt“. Ein Thema, das, wie wir wissen, jedes Jahr relevanter für uns Menschen wird. Dazu muss eine thematisch passende Bildserie mit 20 Bildern eingereicht werden. Da geht es nicht um 5 oder 10 Bilder, sondern tatsächlich um 20 Aufnahmen. Schon im Layout der Serien kann man viel über die Fotograf:innen erfahren.
dfp: Wie schätzen Sie selbst die Bedeutung des LOBA für die Nominierten ein? Geht es eventuell nicht nur darum Erster zu werden, sondern darum überhaupt dabei zu sein?
KRK: Die Bedeutung ist sehr groß. Alle unsere LOBA Gewinner und Gewinnerinnen haben einen unglaublichen Boost in ihrer Karriere erfahren. Nur ein kleines Beispiel dazu: Vor kurzem habe ich den Newcomer Gewinner 2020, Gonçalo Fonseca, getroffen. Er sagte mir, er sei so dankbar, weil er durch den LOBA unglaublich viel Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für sein Projekt erhalten hat. Nun wird er zum ersten Mal auch in einer Behörde ausgestellt, die jene Probleme, die er mit seinen Fotografien aufgezeigt hat, mitverantwortet.
Unsere beiden Gewinner:innen des Wettbewerbs – wir haben seit 2009 auch einen Preis für junge Fotograf:innen bis zu einem Alter von 30 Jahren ins Leben gerufen – und 10 Finalisten bekommen auf verschiedenen Ebenen sehr viel Wertschätzung. Hierzu gehört zum einen das Preisgeld – 40.000,-Euro für den/die Gewinner:in plus eine M Kamera mit Objektiv und 10.000,- Euro für den Newcomer plus eine Q Kamera. Damit verbunden ist die große Preisverleihung, die Celebration of Photography im Leica Headquarter in Wetzlar, mit einer Ausstellung aller Gewinner:innen und Finalist:innen im Ernst Leitz Museum im Oktober sowie die Veröffentlichung eines Sondermagazins der LFI (Leica Fotografie International) mit Informationen zu allen Serien und Biografien.
Dfp: Das alles beschränkt sich ja nicht nur auf die Leica Erlebniswelt in Wetzlar?
KRK: Nein, die Sichtbarkeit für die Gewinner:innen und Finalist:innen ist enorm. Die LOBA Ausstellungen gehen im Anschluss vom Ernst Leitz Museum in die weltweiten Galerien und werden teilweise in Museen oder auch auf Fotofestivals gezeigt.
dfp: Gerade angesichts der schwindenden Veröffentlichungsmöglichkeiten für die Dokumentarfotografie ist das natürlich eine großartige Chance für Fotograf:innen. Doch nicht nur: Trägt die Förderung der Fotografie nicht auch sehr intensiv zum Nimbus der Marke Leica bei?
KRK: Ich würde sagen, die Strahlkraft der Marke Leica ist größtenteils unserem kulturellen Engagement zu verdanken! Leica war und ist schon immer besonders. Ich spreche immer von unserer LEICA Familie, die über den ganzen Globus verteilt lebt. Diese, unsere Familie, ist über die Liebe und das Engagement zur Fotografie miteinander verbunden.
dfp: Frau Rehn-Kaufmann, Sie sind International und national für alle kulturellen Belange der Leica Camera AG zuständig. Wie viele Funktionen haben Sie denn eigentlich?
KRK: Um es in einem Satz zu sagen: Ich bin die Innen- und Außenministerin für Kultur bei Leica. Alles, was Bilder oder Ausstellungen betrifft, sollte mit mir besprochen werden.
dfp: Sind die Leica Galerien, deren Stil und Philosophie Sie ja weltweit als Direktorin vorgeben und mit Ihrer eigenen Galerie in Salzburg auch prägen, dabei so etwas wie ein Lieblingsprojekt?
KRK: Im Jahr 2008 gab es gerade einmal vier Leica Galerien und innerhalb des Unternehmens sogar die Überlegung, diese zu schließen. Ende 2023 wird es über 30 Leica Galerien auf der Welt geben.
Als damals die Schließung im Gespräch war, haben mein Mann und ich uns gesagt: Okay dann machen wir unsere eigene Galerie. Ich habe dann quasi unabhängig die Leica Galerie in Salzburg gegründet. Eine wichtige Erfahrung und „Learning by Doing“. Die Galerie in Salzburg war der erste entscheidende Schritt. Da habe ich gesehen, es funktioniert. Um auf Ihre Frage zu antworten: Für alles, was mit Fotografie und Ausstellungen zu tun hat, brenne ich.
dfp: Die große Zahl an Leica Galerien weltweit bieten ja auch eine große Chance für die Fotograf:innen der Leica Familie. Vor allem, wenn sie zu den Finalisten oder Gewinnern des LOBA gehören oder es sogar mit ihrem Lebenswerk in die Leica Hall of Fame geschafft haben. Gibt es denn für Fotograf:innen eine Chance, sich selbst den Nominatoren vorzustellen?
KRK: Alle Nominatoren arbeiten im Bereich der Fotografie oder der Bildungs- und Kultureinrichtungen und kennen daher viele Fotograf:innen, die sie fördern wollen. Aber natürlich können Fotograf:innen grundsätzlich auch selbst die Initiative ergreifen und sich bei den Nominatoren vorstellen.
dfp: Sie sind mit ihrem kulturellen Engagement selbst weltweit vernetzt. Sie übernehmen auch Ausstellungen von anderen Häusern, Galerien oder Museen und umgekehrt gehen Ihre Ausstellungen um die Welt. Davon profitieren die Leica Fotograf:innen ebenfalls.
KRK: Unbedingt! Dazu ein Beispiel: Im Herbst startet ein großes Fotofestival in Zürich, das nur im öffentlichen Raum stattfindet und sich dem Thema Umwelt und Nachhaltigkeit widmet. Unter dem Kurator, Professor Lois Lammerhuber werden an verschiedenen Orten in Zürich 17 Nachhaltigkeitsziele fotografisch interpretiert. Sechs der Fotograf:innen sind ehemalige LOBA Gewinner:innen und Finalist:innen. Es geht also immer weiter und zeigt, welchen Karriereschub ein Erfolg bei unseren Awards für die Fotograf:innen hat.
dfp: Die Fotografie hat sich seit einigen Jahren auch stark im öffentlichen Raum etabliert. Es gibt immer mehr Fotofestivals, die teilweise oder ganz diese Möglichkeit nutzen, ein anderes oder neues Publikum zu erreichen. Wie sehen Sie diese Entwicklung als jemand, der sich vorrangig in der musealen Welt oder in Galerien engagiert.
KRK: Mein Herz schlägt für eine Fotografie, die Geschichten erzählt. Das berührt mich mehr als experimentelle Formen. Der öffentliche Raum eignet sich meiner Ansicht nach besonders gut, um neue Menschen für die Fotografie zu gewinnen. Vor allem, wo doch immer mehr Medien, die anspruchsvolle Fotografie oder Fotokunst veröffentlicht haben, wegbrechen. Insofern sind Fotofestivals extrem wichtig. Spätestens seit der Corona-Zeit wissen wir, wieviel uns direkte menschliche Begegnungen bedeuten. Wir sind soziale Wesen, die – ich sage es einmal so – analog funktionieren. Die aktuelle Renaissance des Analogen und der analogen Fotografie unterstreichen das. Leica hat nie aufgegeben, auch analoge Kameras zu produzieren und die neue Leica M6 profitiert von diesem Trend. Wir verhalten uns mit unseren Galerien, dem Museum und dem LOBA auch analog.
dfp: Fotoausstellungen sind in der Regel analog. Selbst wenn die Fotografien projiziert werden, sind es doch analoge Bilder, die wir wahrnehmen. Die Fotografie hat lange gebraucht, um auch als Fotokunst wahrgenommen zu werden. Sind die immer häufiger gesehenen Outdoor-Installationen geeignet, das Ansehen der Fotografie zu steigern?
KRK: Ich finde das grundsätzlich spannend, da alle Menschen, die daran vorbeilaufen, mit Bildern konfrontiert werden. Damit wird jeder angesprochen. Auch diejenigen, die sich erst einmal nicht für Fotografie interessieren, aber von den Geschichten, die sie erzählen, gefangengenommen werden und neue Perspektiven kennenlernen. Bei einem Museumsbesuch gibt es viel öfter erst eine Schwelle zu überwinden und hineinzugehen.
dfp: Was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Foto aus?
KRK: Für mich sollte ein gutes Foto eine Geschichte erzählen und mich in irgendeiner Form berühren.
Natürlich spielt auch die Qualität, der Fokus, Aufbau, Kontrast, etc. eine Rolle. Aber in erster Linie sind es Emotionen, die dazu beitragen, warum Bilder bei uns im Gedächtnis bleiben. Mit der experimentellen Fotografie kann ich eher weniger anfangen. Sie wirkt auf mich manchmal seelenlos. Daher finde ich auch, dass man für Kunst im öffentlichen Raum oder in dem Fall Fotografie im öffentlichen Raum Themen nehmen sollte, die heutzutage wirklich uns allen unter den Nägeln brennen.
dfp: Vielen Dank für das Gespräch