Jim Dine, I never look away, Selbstporträts, Eingang zur Ausstellung.
Die Suche nach der Wahrheit in der Selbstwahrnehmung wird im Gesamtwerk des vielseitigen amerikanischen Künstlers Jim Dine in einer besonders faszinierenden Vielfalt deutlich. Schon als Kind ist er fasziniert vom eigenen Spiegelbild. Weniger aus narzisstischem Antrieb als vielmehr getrieben von der Neugier auf das eigene Innere und seine Reflexion nach außen. Spätestens mit 12 beginnt der, nach dem Tod seiner Mutter bei den Großeltern aufwachsende Jim Dine sein Zeichentalent und die Kunst zu entdecken. So zitiert ihn einer der Wandtexte der Ausstellung mit dem Titel
MEIN SPIEGELREFLEX
„Wenn ich an einem Spiegel oder einer reflektierenden Oberfläche vorbei gehe, werfe ich, aus welchem Winkel auch immer, einen gründlichen Blich auf mein Gesicht. Diese Gewohnheit stammt aus der Kindheit. Ich bin es, der mich selbst beobachtet, um in der Sekunde, in der ich mich selbst im Spiegelbild wahrnehme, das sogenannte Selbstporträt zu revidieren, zu formen. Ich kann dann ohne Kreide, oder Stift im Kopf korrigieren, eine versehentliche Linie ausradieren und spüre auch das psychologische Moment, wenn mein Gesicht so aussieht, als hätte ich es noch nie zuvor gesehen. Ich sehe nie weg.“
„I Never Look Away“ lautet auch der Titel der Ausstellung, dem dieser von Jim Dine 2016 in Paris getätigte Ausspruch zugrunde liegt. Ein nicht weniger eindringliches und seine Besessenheit von der Selbstreflexion erklärender Text lautet
Wandtext; Mein Porträt/Jim Dine.
MEIN PORTRAIT
Das bin ich
Meinem Porträt hinterherlaufend
entsinne ich mich
(Porträts)
Das ist die Erinnerung
Das bin ich
Mir selbst hinterherlaufend (Porträts)
(Jim Dine)
Die Erkundungen des „Inneren Selbst“ ziehen sich durch das gesamte Werk von Jim Dine und resultieren in seinen psychoanalytischen Seelenbildern. Dine at sich immer wieder mit C.G. Jungs Lehre beschäftigt nd auch 1993 eine Reihe von Radierungen zu einer illustrierten Ausgabe zu dem Text von Sigmund Freud „Der Wolfsmann“ beigetragen. Den Namen hat Sigmund Freud seinem wohl berühmtesten Patienten gegeben: Ein junger Russe, Sohn reicher Großgrundbesitzer, der unter einem Trauma aus Kindheitstagen litt. In einem Alptraum, der ihn sein Leben lang quälte saßen weiße Wölfe auf einem Nussbaum vor seinem Kinderzimmer, von denen er fürchtete, dass sie ihn auffressen wollen.
In diesen Zusammenhang ist auch die Skulptur „Jim’s Head with Branches“ zu sehen, auch wenn Jim Dine hier das Motiv umgedreht hat: Der Betrachter sieht von außen, durch die weißen Äste auf den überdimensionalen Kopf des Künstlers, der sich seinem Unbewussten, seiner Gedankenwelt und seinen Erinnerungen stellt. Die Skulptur steht während der Ausstellungsdauer in der städtischen Grünanlage vor dem Gebäudes des Kunstfoyers/ Versicherungskammer/ Kulturstiftung.
Jim Dine und seine Skulptur: Head with Branches, 2018.
Es ist sicher auch mit einem Seitenblick auf den Zeitgeist, dass sich die erste Ausstellung des Jahres 2019 dem Selbstporträt widmet und gleich einem Großmeister dieses Genres gewidmet wurde. Jim Dine, dessen Werkgruppe der Selbstbildnisse vielleicht im Umfeld seiner vielseitigen Schaffens, vielleicht weniger populär ist, experimentiert hier nicht nur mit Reflexionen des eigenen Ich, sondern setzt dabei auch unterschiedlichste Techniken und Materialien ein. Die Ausstellung umfasst Zeichnungen, Druckgrafiken und Fotografien. Sie thematisieren dabei Jugend und Alter, Intimität du Extraversion sowie Serialität und Kreativität.
Einen ganz besonderen Reiz verdankt diese Ausstellung im Kunstfoyer ihrer ungewöhnlichen Präsentation. Die Hängung verantwortet Jim Sine Selbst, der sich Zusammen- und Gegenüberstellungen erlaubte, die sich kein Kurator getraut hätte. So hängte er Bilder, die jeder Kunsthistoriker nebeneinander gesehen hätte gegenüber, so dass sich die Selbstbildnisse eindringlich anschauen als würden Sie die jeweilige Wahrheit in sich suchen. Gleichzeitig aber lohnt es sich, soweit möglich, nah an die Bildnisse heranzutreten, um die eingesetzten Techniken im Detail zu erkunden. Da wurde mit Schleifpapieren gearbeitet, mit Schuhputzmitteln poliert, Kohle und Kreide experimentiert. So scheint das zerstörte oder geglättete Äußere den Blick ins Innere des Künstlers erst möglich zu machen.
Jim Dine in seiner Ausstellung „I never look away“.
Isabel Siben, Direktorin Kunstfoyer München, kommentierte die eigenwillige Struktur der Hängung durch den Künstler selbst begeistert: „Kunsthistoriker neigen ja häufig dazu aufzuräumen, Strukturen zu schaffen, Werke zu ordnen. “ Das war für Jim Dine offensichtlich sekundär. Er ordnete die eigenen Selbstdarstellungen zu einem dynamischen Spannungsbogen, wohl in der Hoffnung dass ein Funke Wahrheit die Wahrnehmung des Betrachters erreicht.
Die Ausstellung „ Jim Dine, I Never Look Away“ Selbstporträts (Sammlung Albertina Wien) im Kunstfoyer München, Maximilianstrasse 53 geht noch bis zum 12. Mai 2019.