Zum 5. Mal veranstalten Du und Dein Mann Lois Lammerhuber das Festival La Gacilly Baden Photo. Welches Thema wird das Festival in diesem Jahr haben?
Silvia Lammerhuber beim Festival 2021 vor der fantastische Schmetterlingswand
der Monarchfalter fotografiert von Pascal Maitre
Foto © Judith Jandrinitsch
Ein ganz zauberhaftes! Nachdem wir uns im letzten Jahr fotografisch dem Süden zugewandt hatten mit Schwerpunkt Fotografie aus Lateinamerika, bereisen wir fotografisch 2022 den Hohen Norden. NORDWÄRTS! präsentiert Fotografie aus Skandinavien in Ihrer buntesten Vielfältigkeit und ist eine wunderbare Gelegenheit, die manchmal unterschätzte und uns eher unbekannte schöpferische Kraft der Künstler:innen aus Nordeuropa zu zeigen.
Skandinavien kann eine recht unwirtliche, harte Gegend sein. Das Leben dort wird regelmäßig von Schnee und Frost lahmgelegt. Die Menschen in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen oder Schweden haben sich dieser ungezähmten Natur angepasst, sie sind mit Flora und Fauna vertraut, leben in und mit der Natur und wollen sie bewahren. Da wundert es uns ja auch nicht, dass die junge Schwedin Greta Thunberg eine Galionsfigur des Kampfes gegen den Klimawandel geworden ist. Das Verhältnis zur Natur und den Ressourcen unserer Welt prägt auch die heuer beim Festival vorgestellten Fotograf:innen in ihrer Themenwahl, wobei eine künstlerische Klammer sicher ihr Sinn für Poesie und surrealistische Elemente ist.
Die Qualität und Bandbreite der fotografischen Interpretationen der skandinavischen Fotograf:innen besticht! Mit großer Freude und Begeisterung möchte ich sie daher kurz vorstellen:
Foto Sune Jonsson
Der schwedische Fotograf Sune Jonsson(1930 – 2009) zeigt uns in seinem virtuosen Werk Aufnahmen aus einer anderen Zeit, das ländliche, ärmliche Schweden anno dazumal in liebevollen Bildern verewigt. Ganz in der Tradition der sozial engagierten dokumentarischen Fotografie erinnern seine Fotos an Walker Evans, das ländliche Frankreich eines Robert Doisneau oder mit seinen starken Porträts an Willy Ronis.
Pentti Sammallahti ist einer der großen zeitgenössischen Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie, seine Fotos wahre Schmuckstücke von poetischer Natur. Er hat sich vor allem mit Arbeiten über die Landschaft seiner finnischen Heimat einen Namen gemacht, in dieser Ausstellung “Hier in der Ferne“ ist jedoch die ganze Bandbreite seines Werkes zu sehen.
Foto Pentti Sammallahti
“Zwischen Himmel und Eis“ ist der bezeichnende Titel der Ausstellung der finnischen Fotografin Tiina Itkonen, die seit mehr als 25 Jahren die eisigen Küsten Grönlands bereist und immer wieder unter den Inughuit, einer Inuit-Minderheit, lebt, die für die Erhaltung ihrer traditionellen Lebensweise kämpft. Mit grandiosen Landschaftsaufnahmen und der Beschreibung des Lebensraumes gibt sie uns ein bezeichnendes Bild jener Polarregion, die besonders stark unter der Erderwärmung leidet, was natürlich nicht ohne Folgen für die wenigen Menschen bleibt, die dort leben.
Auch der Isländer Ragnar Axelsson entführt in die frostige Steppe Grönlands. Durch seine unvergleichliche Schwarz-Weiß-Ästhetik lässt er uns die einzigartige Atmosphäre einer Welt spüren, die im Verschwinden begriffen ist. Seine herausragende Arbeit über Schlittenhunde führt eindringlich vor Augen, wie sehr der Verlust dieser Tiere die traditionelle Lebensweise der Inuit bedrohen würde.
Die norwegische Fotografin Tine Poppe skizziert in ihren drei essayartigen Fotoarbeiten unter dem Titel „Vegetationen/Variationen“ ein Loblied auf Flora und Fauna: Blumen, die das Verkaufsdatum überschritten hatten und weggeworfen werden sollten, Unkraut und Wildblumen aus der Sicht einer Ameise und Stadtlandschaften und Naturraum in traumartige Szenerien.
Die finnischen Fotografin Sanna Kannisto besucht seit zwanzig Jahren auf der ganzen Welt Vogelschutzwarten und lichtet in ihrem tragbaren Studio alle Vogelarten in ihrer ganzen Pracht ab.
Die nächsten beiden Fotograf:innen belegen aufs eindrücklichste den Variantenreichtum der fotografischen Herangehensweise, die unser Festival zeigen will, um die Besucher in Erstaunen zu versetzen und zum Nachdenken anzuregen.
Foto Erik Johansson
Der schwedische Fotograf Erik Johansson ist ein Virtuose der digitalen Nachbearbeitung. Indem er mehrere Bilder kombiniert, die nichts miteinander zu tun haben, erschafft er surrealistische, witzige Szenerien, die alle ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein zum Ausdruck bringen.
Auch die schwedische Fotografin Helena Blomqvist entführt in eine fremde Welt aus Schauergeschichten, traumhaften Szenerien, mit Wesen, die aus Märchen und Sagen entsprungen sein könnten. Berückend, poetisch und surreal.
Vom Ausnahmefotografen Jonas Bendiksen, Mitglied der Agentur Magnum, der regelmäßig für National Geographic arbeitet, zeigen wir zwei sehr gegensätzliche Arbeiten: In „Big Melt“ veranschaulicht er, welche dramatischen Folgen die Erderwärmung und der Anstieg der Wassermengen für die Menschen haben, wenn die Gletscher des tibetischen Hochlandes schmelzen. Die zweite Arbeit ist eine stillere Arbeit über Vesteraalen, eine ländliche Gegend im Norden seiner Heimat Norwegen.
Abgerundet wird unser Programm über den hohen Norden durch zwei Fotografen der Agence France-Presse mit ihrem Blick auf eine Welt von Eis und Schnee: Der Schwede Jonathan Näckstranddokumentiert das Umweltbewusstsein dieser Länder, der Franzose Olivier Morin, der lange in Stockholm gelebt hat, präsentiert Sport unter extremen, eisigen Bedingungen.
Spielt auch in diesem Jahr der Umweltgedanke bei dem Festival eine Rolle?
Natürlich, der ist nicht wegzudenken und spielt eigentlich in allen Ausstellungen, die heuer gezeigt werden, eine Rolle. Kurz skizziert habe ich das ja schon bei der Vorstellung der Fotograf:innen und ihrer Projekte. Zur Fotografie aus Skandinavien gesellen sich zu diesem Themenbereich zwei weitere Ausstellungen.
Das spektakuläre Werk von Nick Brandt, das jüngste aus seinen Serien über Natur- und Artenschutz. „This Empty World“ zeigt spektakulär inszenierte Bilder, mit denen er die forstschreitende Verstädterung anprangert, eine Welt, die vom Fortschritt überrannt wird und in der die Tiere keinen Platz mehr zum Überleben finden. Er stellt mit seinen apokalyptischen Bildern die Frage nach dem Schicksal unserer gesamten Lebenswelt.
Foto Mathias Depardon
Mathias Depardon,der jüngsten Preisträger des Prix Photo Fondation Yves Rocher, folgt in seiner preisgekrönten Arbeit „Die Tränen des Tigris“ dem Tigris von der Türkei in den Irak, um uns dabei den langsamen Todeskampf dieses Flusses erleben zu lassen.
Wieviele Ausstellungen wird es in 2022 geben?
Zu den Ausstellungen der skandinavischen Fotograf:innen wird es heuer einen Schwerpunkt österreichischer Fotografinnen geben. Vorgestellt werden das Lebenswerk der Magnum-Fotografin Inge Morath, das Werk der Doyenne der österreichischen Fotografie Christine deGrancy und „Camping“, ein Fotoprojekt der jungen Künstlerin Verena Andrea Prennerüber den Lebens-Unzustand Flüchtlingslager.
Niederösterreich feiert heuer sein 100-jähriges Bestehen. Das war uns Anlass, ein Fotoprojekt in Niederösterreich in Auftrag zu geben: „Wildnis Dürrenstein“, einer der größten Urwälder Mitteleuropas und Unesco Weltnaturerbe, ist das Thema. Die zweite Niederösterreich gewidmete Ausstellung zeigt Postkarten in alten Ansichten.
Ja und dann gibt es natürlich wie jedes Jahr das Schulprojekt, bei dem Fotografien von Schülern aus dem Departement Morbihan und aus Niederösterreich gezeigt werden.
Im Gesamten können sich die Besucher:innen 2022 an 28 Ausstellungen erfreuen!
Warum eignet sich gerade Baden für so ein Festival besonders?
Die Stadt Baden ist ideal für unser Festival. Groß genug, um das jeweilige Thema opulent zu präsentieren, klein genug um die gesamte Stadt in einer zusammenhängenden Open-Air-Galerie zu begehen. Die ganze Stadt wird sozusagen Bühne für die Ausstellungen. Und welche Bühne! Baden blickt auf eine alte Geschichte und viel Tradition zurück. Kaiser Franz I. erhob Baden zu seiner Sommerresidenz, damit avancierte die Stadt zu einem bedeutenden Kurort, den auch viele Künstler frequentierten, wie zum Beispiel Ludwig van Beethoven. Die Häuser wurden herausgeputzt im Biedermeierstil, viele davon sind noch erhalten und bieten natürlich eine wunderbare Kulisse für die Bilder der Ausstellungen, die zum Teil haushoch angebracht werden. Im letzten Jahr wurde Baden dann im Rahmen der „Great Spas of Europe“ zum Weltkulturerbe erhoben. Und natürlich gibt es da noch die großangelegten, schönen und erholsamen Parks und Gärten der Stadt, die die Ausstellungen als Freilichtmuseum aufs Beste aufnehmen. Baden ist Teil des Biosphärenparks Wienerwald, so schließt sich der Kreis in Bezug auf den Umweltgedanken, der das Festival wie ein „grüner“ Faden durchzieht.
Und last but not least leben und arbeiten wir, mein Mann und ich, seit gut 30 Jahren in Baden. Daher war es naheliegend sozusagen vor unserer eigenen Haustüre das Festival ins Leben zu rufen. Dass es eine gute Idee war und Baden die ideale Stadt dafür ist, davon zeugen nicht zuletzt die begeisterten Besucher:innen. Immerhin konnten wir im letzten Jahr den Millionsten Besucher begrüßen.
Gibt es auch außerhalb der Ausstellungen ein Programm?
Das gibt es natürlich. Foto-Workshops, Artists in Residence, den Leica-Fotowettbewerb, Führungen und im August „Die Lange Nacht der Fotografie. Ein Termin, bei dem wir wie jedes Jahr die Erfindung der Fotografie feiern und zu dem die ausstellenden Fotograf:innen eingeladen werden, um ihre Ausstellungen vorzustellen. Die genauen Termine und Veranstaltungen können dann auf unserer Homepage ab Juni eingesehen werden.
Was bedeutet Dir das Festival persönlich?
Silvia Lammerhuber bei den Medientagen während des Festivals 2021 © Florian Czech
Viel, ganz viel: viel Freude, viel Passion, auch viel Arbeit. Es ist herzerwärmend anzuschauen, wie sich die Stadt so ab Anfang Mai bis zur Eröffnung im Juni jedes Jahr in eine Bilderstadt verwandelt. Wie die Bürger der Stadt schon neugierig sind, was das Festival wohl als nächstes Thema bringen wird. Und wie man selber von den Bildern und Geschichten lernt, wie schön die Welt sein kann, wie gefährdet sie ist, wie engagiert die Fotograf:innen von der Welt da draußen berichten, auf unterhaltsame, informative und nachhaltige Weise. Das alles erlebe ich beim Spazierengehen durch ein Kunstwerk aus Stadt, Natur und Fotografie. Und es ist natürlich auch ein beglückender Gedanke, dass wir, mein Mann und ich und unser großartiges Festival-Team an diesem Umstand nicht ganz unschuldig sind.
Liebe Silvia, Danke für das Gespräch, wir freuen uns schon auf den Besuch in Baden.