Die Genderpolitik am Avantgardeinstitut war allerdings keineswegs vorbildlich: Von Gropius und den meisten der lehrenden und mitstudierenden Männer argwöhnisch beäugt, bei der Entfaltung ihrer Talente nach Kräften behindert und nach Möglichkeit in die „Frauenklasse“, die Weberei, abgedrängt, eroberten sie sich dennoch alle Fachbereiche, auch neue Medien, wie die Fotografie, und bislang als rein „männlich“ begriffene Domänen, wie Bildhauerei, Industriedesign oder Architektur. Marianne Brandt, Florence Henri, Grete Stern und Ellen Auerbach, Friedl Dicker, Anni Albers, Otti Berger und viele mehr schrieben mit ihren Werken Kunst- und Designgeschichte und verkörperten manchmal tatsächlich die „Neue Frau“, die in der Weimarer Republik Prototyp eines neuen Frauenbildes wurde.
Autor Patrick Rössler, der Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt lehrt und Kurator mehrerer Ausstellungen zum Bauhaus ist, stellt in dem Band mit über 400 Porträtfotos knapp 90 Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen vor, von denen viele lange Zeit vergessen waren. Dabei orientiert sich die Reihenfolge der Biografien an den Geburtsdaten der Frauen: Die älteste wurde zur Zeit Otto von Bismarcks geboren, die jüngste am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Copyright: © Stefan Consemüller, Klassik Stiftung Weimar/Bauhaus-Museum
Erich Consemüller: On the roof of the Atelierhaus, Dessau
(Martha Erps with Ruth Hollós, left), c. 1927
Copyright: Photo © The J. Paul Getty Museum, Los Angeles
Lotte Beese: Self-portrait with camera (silhouette), 1927
Neue archivarische Funde vervollständigen das Bild der wenigen prominenten Bauhaus-Frauen, wie Lucia Moholy, die, nach der Machtübernahme der Nazis aus Deutschland geflohen, ihr Archiv mit 650 Glasnegativen ihrer berühmten Architektur-, Objekt- und Porträtaufnahmen Gropius anvertraut hatte und später nur auf juristischem Wege ihr Urheberinnen- und Eigentumsrecht geltend machen konnte, Gertrud Arndt, die eigentlich Architektur studieren wollte, dann in der Weberei landete und sich schließlich ganz der Fotografie zuwandte, oder Marianne Brandt, die als erste Frau in der Metallwerkstatt des Bauhauses arbeiten durfte und deren Entwürfe für Leuchten, Aschenbecher und andere Haushaltsgegenstände bis zum heutigen Tag von Alessi verwendet werden.
Copyright: © Géza Pártay / Photo © Bauhaus-Archiv, Berlin
Judit Kárász (attrib.): “The evil spirit”, double exposure of Otti Berger
with the façade of the Atelierhaus, Dessau, 1931/32
Copyright: Photo© Bauhaus-Archiv, Berlin
Anonymous: Otti Berger (front) and Lis Beyer in a rowing boat on the Elbe, c. 1927
Das im Taschen Verlag, Köln, erschienene Buch „Bauhausmädels“, das ausschließlich Biografien und Fotos aus der Bauhauszeit von 1919 bis 1933 versammelt, ist somit ein längst überfälliger Tribut an die oft völlig unterschätzten weiblichen Mitglieder des Bauhauses.
H.-G. v. Zydowitz
Patrick Rössler
Bauhausmädels
Texte: Deutsch, Englisch, Französisch
480 Seiten
Format: 18×25 cm, in Leinen gebunden
Köln, Taschen-Verlag
ISBN 978-3-8365-6353-6; € 30.-