Ein Vorfahr des Fotografen, Christoph von Graffenried (1661 – 1743), ebenfalls aus Bern stammend, wanderte 1710 nach Amerika aus, baute am Pamlico-Sound an der Mündung des Neuse- und des Trent-River die ersten Häuser und gab dem Ort den Namen seiner Heimatstadt: New Bern. Heute leben hier 30.000 Menschen, 55 Prozent Weiße und 35 Prozent Schwarze.
Nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd durch weiße Polizisten fand dort in der Broad Street im Juni 2020, parallel zu vielen Protesten der „Black-Lives-Matter-Bewegung“ im ganzen Land, die größte Demonstration statt, die New Bern je gesehen hat. Damit wurde in der Stadt Rassismus zum ersten Mal öffentlich zum Thema gemacht.
Der im Steidl-Verlag, Göttingen, erschienene Bildband „Our Town“ ist Michael von Graffenrieds fotografisches Porträt der Stadt New Bern, die er in den letzten 15 Jahren regelmäßig besucht hat. Dabei sind weder übermäßig formale Kompositionen noch flüchtige Schnappschüsse, sondern geduldige, durchgehend farbige Bilder des Alltags entstanden, die in dem Buch zumeist doppelseitig im extremen Querformat in der Größe 22×58 cm wiedergegeben sind.
Dabei maßt sich der Fotograf mit seinen Aufnahmen bewusst kein Urteil über die Bürgerinnen und Bürger der Stadt an: Eine schwarze Kirchengemeinde, junge weiße Mädchen beim Üben an der Waffe, schwarze Männer, die auf der Straße Bargeld tauschen, ein weißes Paar, das seine Waffensammlung mit einem ausgestopften Bären als Jagdtrophäe herzeigt, eine schwarze Stripperin, die für einen weißen Mann tanzt.
Michael von Graffenried dokumentiert mit „Our Town“ das Bild einer von einem seiner Vorfahren vor über 300 Jahren im Osten der USA gegründeten Stadt, was deren Bewohner aus dieser gemacht haben und vor allem, wie sie heute dort leben.
H.-G. v. Zydowitz
Michael von Graffenried
Our Town
Text: Englisch
240 Seiten, 120 Abbildungen
Format: 31×24,5 cm, Leineneinband
Göttingen, Steidl Verlag
ISBN: 978-3-95829-883-5;
Preis 45 Euro
