Mikaela Neaze Silva (23), eine der beiden aktuellen Veline der
Nachrichten-Satire-Show »Striscia la notizia«, tanzt zu Beginn der Sendung
einen kurzen Eingangstanz in der Rolle einer Videospiel-Figur.
Dazu haben Barbara Bachmann und Franziska Gilli feministische Aktivistinnen und Nonnen ebenso begleitet, wie Showgirls aus dem Fernsehen, sogenannte Velinas, die immer im Doppelpack auftreten – eine Blonde und eine Brünette, um jeden Geschmack zu befriedigen.Fragen wie: Wie gehen Frauen damit um? Wie sollen Jugendliche sich hier einordnen? Regt sich Widerstand? motivierten die Reporterin und die Fotografin vor drei Jahren dazu, sich auf Spurensuche zu begeben. Herausgekommen ist ein Buch mit sieben bewusst ganz unterschiedlich gestalteten Kapiteln, die ausgewählte Einblicke in jenes Land der Kavaliere und Charmeure geben, in dem einerseits die Mutter Ikone ist, andererseits alle drei Tage eine Frau ermordet wird – meistens zu Hause, vor verschlossenen Türen, verübt von Ehemännern, Lebensgefährten, ehemaligen Partnern.
Nationale Demonstration der Bewegung „Non Una Di Meno“
anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen.
Das Buch zeigt, angelehnt an die sieben Todsünden und deren Antithesen, die ganze Vielfalt des gelebten Frauseins in dem Land und entdeckt gleichzeitig einen neu aufkommenden Feminismus. Konkret geht es in dem Kapitel „Völlerei & Disziplin“ um die Maßlosigkeit des Frauenbildes im Unterhaltungsfernsehen, in „Geiz & Großzügigkeit“ um das Bemühen um das Gleichstellen der Geschlechter in Zeiten von Covid-19, in „Wollust & Lustlosigkeit“ um das stille Leiden werdender Mütter bei der Geburt, in „Hochmut & Zweifel“ um Stärken und Schwächen der Frau sowie ihrem Verständnis von Weiblichkeit, in dem Abschnitt „Zorn & Liebe“ um männliche Gewalt und die seit 100 Jahren immer wiederkehrenden Stereotypen weiblicher Liebe in der Werbung, in „Neid und Lob“ um elf Männer und deren persönlichem Frauenbild zwischen Verehrung und Verwunderung sowie schließlich in dem Kapitel „Trägheit & Eifer“ am Beispiel der feministischen Bewegung ‚Non una di meno“ (Nudm) um das Ringen nach Veränderung.
Nationale Demonstration der Bewegung „Non Una Di Meno“
anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen.
Nach ausführlicher Recherche mussten die beiden Autorinnen feststellen, dass noch immer vor allem die Macht des Fernsehens und des Vatikans in Italien für das Frauenbild prägend sind. Hinzu kommt – und das ist kein rein italienisches Phänomen: Auch in aufgeschlossenen und auf Gleichberechtigung bedachten Partnerschaften und Familien hat die Covid-19-Pandemie die hart erkämpfte Rollen-und Lastenverteilung oftmals wieder zu Ungunsten der Frauen verschoben: Sie sind es, die fast selbstverständlich für die Kinderbetreuung und das Homeschooling zuständig sind.
Beim „Miss Italia“-Casting prüft die Jury,
ob die Mädchen kameratauglich sind.
Das Buch „Hure oder Heilige – Frau sein in Italien“ von Barbara Bachmann und Franziska Gilli versammelt eine Vielzahl an Frauenporträts, demonstrierenden Feministinnen und magersüchtigen Miss-Anwärterinnen, enthält aber auch eingefangene Stimmen von Männern über Frauen, Beispiele aus Werbe-Sujets und Zitate von italienischen Persönlichkeiten der vergangenen 100 Jahre aus einem Land, in dem starre Geschlechterrollen und Klischees zementierter denn je scheinen.
H.-G. v. Zydowitz
Barbara Bachmann, Franziska Gilli
Hure oder Heilige – Frau sein in Italien
224 Seiten
Format 17×23 cm
Bozen, Edition Raetia
ISBN: 978-88-7283-731-3;
Preis 27,50 Euro