Bild Adji Dieye
In unserem digitalen Zeitalter, in dem wir mehr Bilder produzieren und konsumieren als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, ist das Archiv zum Klischee für die Verweigerung dieses Konsums geworden. Der
C/O Berlin Talent Award 2021 nimmt sich einer jüngeren Strategie der erweiterten dokumentarischen Praxis an und zeichnet ein Projekt aus, das auf der Edition vorhandener Bilder basiert. Culture Lost and Learned by Heart der italienisch-senegalesischen Künstlerin Adji Dieye (*1991) tritt in einen kritischen Dialog mit der kolonialen Institution des Bildarchivs, das gemeinhin mit der visuellen Dokumentation von Geschichte assoziiert wird und als Torhüter historischer Wahrheit gilt.
Bild Adji Dieye
Das Projekt greift auf gefundenes Archivmaterial zurück und dekonstruiert in der Neulektüre die Hierarchien des nationalen ikonographischen Archivs von Senegal (Archives Nationales du Sénégal), in dessen Sammlungsgeschichte die französische Kolonialherrschaft eingeschrieben ist. Anhand von zusätzlichem, aktuellem Bildmaterial setzt sie sich darüber hinaus mit neuen Formen der Verdrängung und Ausgrenzung auseinander: inwieweit führt die visuelle Rahmung eines historischen Narrativs heute zur Ausübung politischer Kontrolle? Bei knapp 100 internationalen Einreichungen entschied sich die Jury eindeutig und einstimmig für Adji Dieye, da ihr bemerkenswertes und provokatives Werk, das die im Gewinnerprojekt des Vorjahrs begonnene Auseinandersetzung mit der Dekolonialisierung vertieft und auf ganz andere materielle Weise fortführt.
Der C/O Berlin Talent Award 2021 in der Kategorie Theorist geht an den nigerianischen Autor Emmanuel Iduma. Er wird den ersten kunsttheoretischen Essay über die Arbeit Culture Lost and Learned by Heart von Adji Dieye verfassen. Der Essay erscheint zusammen mit einem Interview mit der Künstlerin in einer monografischen Publikation bei Spector Books, die C/O Berlin anlässlich der Einzelausstellung der Künstlerin herausgibt.
Die Ausstelung läuft vom 11. Dezember 2021 bis 05. März 2022 im Amerika Haus, Hardenbergstraße 22–24, Berlin
Leo Exotic ads Quarantine Blues 2020 copyright Leonard Suryajaya
Außerdem sind vier Künstler*innen Leonard Suryajaya (USA), Marina Caneve (IT), Max Colson (GB) und Salma Abedin Prithi (BGD) sind für die Shortlist 2021 nominiert.
Helluva Beating 2021 copyright Max Colson