Florence Goupil wuchs zwischen zwei Kulturen auf: Ihre Familie stammt aus den Anden, und ihre Ausbildung erhielt sie in Frankreich. Nicht zuletzt deshalb beschäftigt sie sich mit Themen wie Identität und Umweltschutz sowie mit der Spiritualität der Ureinwohner Perus und Lateinamerikas. Sie gehört zu den National Geographic Explorern und veröffentlicht in zahlreichen internationalen Zeitschriften.
In dieser Serie aus dem Jahr 2020 zeigt Florence Goupil die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die indigenen Völker des Amazonasgebiets. Die ShipiboKonibo schützen schon seit Langem die Artenvielfalt ihrer Heimat und verwenden einheimische Pflanzen zu medizinischen Zwecken. Das Wissen um die Heilkräfte der Pflanzen droht jedoch verloren zu gehen. Weil die Zentralregierung untätig blieb und das einzige Krankenhaus im peruanischen Amazonasgebiet heillos überlastet war, beschlossen die Shipibo-Konibo, sich selbst zu organisieren.
Im Mai 2020 riefen sie das Comando Matico ins Leben, eine Gruppe traditioneller Heiler, die ihr Volk medizinisch versorgen sollten. Weil jedoch das Wirken der katholischen und der evangelischen Kirche das Wertesystem, die Kultur und die Traditionen der indigenen Völker verändert haben, lehnten viele Shipibo-Konibo sowohl das Comando als auch die traditionellen Heilmethoden ab.
Diese verfahrene Lage trieb viele Betroffene in die Verzweiflung, weil sie ohne medizinische Infrastruktur oder alternative Heilmethoden keine Aussicht auf Genesung hatten. In der Folge stieg die Anzahl der Sterbefälle im Amazonasgebiet stetig an. Im Januar 2021 hatte das peruanische Amt für indigene Völker 224 442 Fälle von Infektionen sowie 3831 Sterbefälle erfasst. Unter den Toten waren zahlreiche alte Menschen und Anführer indigener Völker, mit denen große Teile des Wissens um die Pflanzen und die Artenvielfalt im peruanischen Amazonasgebiet verloren gingen. Nach der Einschätzung von Ronald Suarez, dem Vorsitzenden von Coshikox, einer Organisation indigener Völker, wiegt der Verlust alter Menschen unter den ShipiboKonibo besonders schwer, weil mit ihnen das Bewusstsein für die Bedeutung der Pflanzenwelt und der Artenvielfalt verschwindet. Wie Suarez betrachten auch viele Shipibo-Konibo die gegenwärtige Lage als Genozid, der geschieht, weil ein Volk allein gelassen wird. Und weil keine Lösung in Sicht ist, wächst die Verzweiflung weiter.