Das Oktoberfest in München bietet Fotografen viele wunderbare Motive. Ein Ereignis ist dabei besonders hervorzuheben, der weltweit größte Trachten- und Schützenumzug, der traditionell am ersten Sonntag der Wiesn stattfindet und in dem sich erstmals ein Künstlerwagen einreiht. Für die Idee und Gestaltung zeichnet die Künstlergruppe super+ verantwortlich, bestehend aus dem Maler Christian Muscheid, dem Bildhauer Alexander Deubl und dem Designer Konstantin Landuris. In ihren Augen ist die Zeit längst wieder reif für einen zeitgemäßen, künstlerischen Akzent auf dem größten Volksfest der Welt, das auf eine 200jährige Tradition zurückblicken kann.
Ihr konzeptueller Leitgedanke für die Gestaltung des Wagens fußt tief in der altbayerischen Kultur und Lebensart. Gezogen von fünf Kaltblütern präsentieren sie auf ihrem festlich geschmückten Wagen 2,5 Meter hohe Gemälde mit spiegelverkehrten, graphisch-stilisierten Kompositionen. Wer da an Spielkarten denkt, liegt richtig. Die Künstler verstehen die Bilder als Neu- und Uminterpretation des hierzulande beliebten Schafkopfens, eines Kartenspiels mit Ober und Unter statt Dame und Bube, mit König und Ass, Schellen, Eicheln, Gras und Herz. Zwischen den bunten Trachtlergruppen, zünftig gekleideten Musikkapellen und hochdekorierten Gebirgsschützen werden die abstrakten Acryl-Gemälde für einen kurzen Perspektivwechsel sorgen. Angeführt wird der Wagen von einem Fähnrich mit eigens für diesen Anlass gestalteter Flagge. „Wir möchten damit die volkstümliche Tradition aufbrechen, aber zugleich auch berücksichtigen“, so Christian Muscheid von super+. Brauchtum muss immer wieder hinterfragt und aktuell verortet werden. Und neue Impulse aufgenommen werden. Musikalisch umrahmt wird die gut sieben Kilometer lange Fahrt vom Max-II- Denkmal in der Maximilianstraße zur Theresienwiese von der japanischen Blasmusikgruppe „Sasebo“. Die eigens für diesen Anlass gefertigten Anstecknadeln, ein ideelles Gegenstück zu den Reversplaketten der Schützenvereine, wurden von den thailändischen und japanischen Schmuckkünstlern Noon Passama und Jiro Kamata gestaltet. Für ambitionierte Schafkopf-Anhänger wird das Münchner Trio die Werke ihres Künstlerwagens als Spielkartensatz in einer Auflage von 100 Stück herausgeben. Mit ihrem Künstlerwagen huldigt super+ zugleich all jenen Künstler, Designern und Kreativen, die mit ihren gestalterischen Ideen die unvergleichliche Ausstrahlung des Oktoberfestes seit jeher mitgestaltet haben.
2017 gastierte das Team mit der Performance OTTO Bar, einer temporären Bar, während der Biennale in Venedig auf dem Dach des Hotels Gabrielli. Zuvor überraschte es Passanten und Kunstliebhaber in München und Paris mit der Himmelskulptur Phönix, einem sich permanent veränderndes Werk aus Metallfolie. Als Herausforderung der Oktoberfest-Aktion verstehen die Künstler vor allem die Situation, sich an der Schnittstelle von Tradition, kommerzieller Trivialität und urbanen Popmechanismen zu bewegen und dort einen eigenen künstlerischen Fußabdruck zu setzen. Den Trachten- und Schützenumzug, an dem mehr als 9.000 Mitglieder verschiedener Vereine teilnehmen, sehen sie als mobile Ausstellung unter freiem Himmel. Denn das Ereignis wird von ca. 150 000 Besuchern begleitet und vom Bayerischen Rundfunk übertragen.
Tipp: Um sich einen guten Platz zu ergattern, sollte man sich frühzeitig auf den Weg machen.
Sonntag, 23.9.2018, zwischen 10 und 12 Uhr
Trachten- und Schützenzug, Position 9
Über Maximilianstraße, Odeonsplatz, Sonnen- und Schwanthalerstraße zur Theresienwiese.