Der Hafen von Churchill wird nur noch von wenigen
Versorgungsschiffen angelaufen.
Dasfotoportal.de (DFP): Max, Dein Booklet „Stille Stunden in Churchill“ fesselt vor allem durch den Widerspruch, der in den grafisch perfekt gestalteten Schwarzweiß-Fotografien von diesem Ort überall deutlich wird. Einerseits ist Churchill die Pforte, die in eines der letzten Naturparadiese des Nordens führt, andererseits beherbergt der Ort eine vom Rest der Welt abgeschnittene Bevölkerung, für die der Alltag alles andere als paradiesisch ist. Das springt jedem sofort ins Auge, der diese Bilder betrachtet, obwohl auf keiner Fotografie jemand zu sehen ist.
Maximilian Mutzhas (MM): Situationen so wie in Churchill bin ich überall auf der Welt begegnet. Immer wenn der Fototourismus seine Gäste in abgeschiedene Erlebniswelten führt, gibt es diese Hinterzimmer und Hinterhöfe am Rande der Gesellschaft, wo anstelle der paradiesischen Schönheit der Erde, gesellschaftliche Ungleichheiten in Auge fallen. Ob das in Grönland war, Spitzbergen oder Sibirien. Da kommen Touristen, um diese karge Welt zu erleben und zu fotografieren aber sie bekommen kaum mit oder haben auch keinen Blick dafür, wie abgehängt die Bevölkerung dort tatsächlich lebt. Das passt in meinen Augen eigentlich nicht so richtig zusammen.
DFP: Warst Du denn schon öfter in Churchill?
MM: Nein, nur zweimal. Einmal im tiefsten Winter zusammen mit dem Fotografen und Churchill Kenner Nobert Rosing, wo wir einen Film für Leica gemacht haben und ein anderes Mal im Sommer über eine Zeit von drei Wochen, wo ich als fotografischer Leiter für das Unternehmen Polar Reisen zwei Reisegruppen betreut habe. Zu der Zeit lebten in Churchill gerade einmal 700 Leute und es war abzusehen, dass die Ortsflucht noch weiter anhalten würde. Die Versorgungslinien über Land waren zusammengebrochen und per Schiff sehr zeitaufwendig. Alles musste per Flugzeug eingeflogen werden. Das war für die Touristen zwar noch bezahlbar aber für einen großen Teil der Einwohner nicht mehr zu leisten. Damals habe ich zum Beispiel ein Foto von einer Tankstelle gemacht, wo davor lauter Fahrzeuge mit einem Platten standen. Die standen da, weil es keine Reifen und keine Ersatzteile mehr gab, da die Beschaffung zu teuer war.
Erinnerung an bessere Zeiten als Churchill noch Raketenstützpunkt war.
DFP: Wie war denn deine Fotogruppe untergebracht?
MM: Damals gab es überhaupt nur zwei Hotels, auf die wir uns aufgeteilt haben. Das Gleiche galt für die Restaurants. Es gab eigentlich nur zwei Restaurants und eine Art Imbiss. Der eigentliche zentrale Treffpunkt, den ich noch von der Reise mit Nobert Rosing kannte, das Gipsy, ist abgebrannt und wurde auch gar nicht mehr aufgebaut.
DFP: Nun wirst du mit deiner Fotogruppe ja keine Führungen durch den Ort gemacht haben, die wollten ja wohl eher unberührte Natur erleben.
MM: Natürlich, die Gegend ist ja nun einmal bekannt für Ihre Bären, die dort ja auch bis zum Ort und manchmal auch durch den Ort marschieren. Allabendlich heult da kurz eine Sirene auf, die alle darauf aufmerksam macht, dass nur noch rausgehen soll, der auch darauf vorbereitet ist und damit umgehen kann, auf einen Bären zu treffen. Es gibt auch überall Warnhinweise, beispielsweise an dem felsigen Küstenbereich, wo Du gar nicht sehen kannst, ob da nicht hinter dem nächsten Felsen ein Bär liegt. Bei Dunkelheit und in der Dämmerung wird das natürlich noch schwieriger. Aber auch bei meinen Alleingängen durch den Ort habe ich mich an die als sicher geltenden Bereiche gehalten. Wir hatten geländegängige Fahrzeuge gemietet, die ich natürlich auch im Ort genutzt habe. Unterwegs mit der Gruppe hatten wir auch einen bewaffneten Guide, der geschult war und der die jeweilige Situation einschätzen konnte.
Kinderspielplatz am Meer im Bärenland.
DFP: Aber Fotos im Ort waren ja nicht das, was deine Gruppe von Naturfotografen erwartet hat?
MM: Natürlich nicht. Ging es um eine ganz andere Art der Fotografie. Da haben wir auf ausgedehnten Pirschfahrten Ausschau nach verschiedensten Wildtieren wie Bären, Füchse oder Adlern gehalten. Diese lassen sich dort wirklich gut beobachten. Es gibt auch sehr viele Wildgänse dort und wir haben beobachtet können, wie Eisbären Gänse gejagt und gefressen haben.
DFP: Das ist sicher eine ganz andere Art der Fotografie. Die Farbe braucht und nichts zu tun hat mit deinen klaren, schnörkellosen Bildern von Churchill? Hattest Du denn diese Geschichte schon im Kopf?
MM: Ja da gab es Vieles, was mir schon lange durch den Kopf geht und da ist auch so Vieles, was ich immer noch im Kopf habe. Dieser Kontrast der verwitterten Gebäude und dazu die ebenfalls teilweise verwitterte Landschaft und dazu die Menschen die diese Landschaft geprägt hat und selbst ebenfalls verwittert erscheinen ergeben ein fantastisches fotografisches Thema, das ich noch weiterverfolgen möchte.
Pick-up mit Jagdtrophäe und Unterstand.
DFP: Die Fotos in Deinem Buch sind allerdings menschenleer?
MM: Ja, mit Absicht. Das muss sehr respektvoll behandelt werden und würde allzu leicht in eine Art Diskriminierung abdriften, was ich vermeiden wollte. So habe ich mich darauf beschränkt, die Lebensräume zu zeigen und glaube, dass diese auch schon Rückschlüsse auf die Menschen zulassen, die dort leben. Wenn ich das noch einmal machen kann, dann will ich das mit respektvollen, aufwendigen Porträts machen und nicht mit schnellen Schnappschüssen.
DFP: Aber würdest du die dann auch in Schwarzweiß machen?
MM: Ja unbedingt. Ich würde dies analog zur ersten Serie machen. Aber dafür müsste ich mir sehr viel Zeit nehmen. Das würde ich nicht in Form einer Reportage, sondern als eine klassische Porträtserie anlegen. Die zwar den Tankstellenwärter, Automechaniker, den Hafenarbeiter oder auch die Leute vom Verleih für die Winterausrüstung an ihren Arbeitsplätzen zeigt, die ich aber studiomäßig ausleuchten würde.
DFP: Bringen denn die Touristen nicht ausreichende Schutzkleidung mit?
MM: Also im Winter mit seinen wirklich extremen Temperaturen, da müsste man schon sehr viel Übergepäck mit einkalkulieren, sodass sich der Verleih von Spezialkleidung dort schon als ein Geschäftsmodell entwickelt hat, das die Wintertouristen gern nutzen. Diese Ausrüstung ist auch sehr schwer. Allein die Winterstiefel, die wir dort getragen haben waren für Temperaturen bis minus 100° Celsius ausgelegt. Der Permafrost macht den Boden so kalt, dass man wirklich darauf achten muss, warme Füße zu behalten. Die Schuhe müssen so isoliert sein, dass sie die Körpertemperatur halten können. Uns sind Wasserflaschen vom Armaturenbrett heruntergefallen und gefroren, obwohl wir im Auto die Heizung laufen hatten. Genauso effektive, kälteresistente Kleidung erforderlich ist, wie Daunenparkas mit Fell und Gesichtsmasken, damit man überhaupt über mehrere Stunden draußen verbringen kann. Normalerweise ist das nur für einen kleinen Zeitraum möglich.
Liegengeblieben im wahrsten Sinne des Wortes.
DFP: Die Fotos für das Buch hast Du aber ohne eine Fotogruppe für Dich allein gemacht.
MM: Ja, da habe ich die Zeit zwischen den zwei Gruppen genutzt. Ich hatte da ein Zeitfenster und bin mit dem Auto dann zum Ufer des Hudson River, wo die Einheimischen, unter anderen die Inuit leben, gefahren oder zu der alten Militär-Basis und in die Hafenregion, wo es die alten Kornspeicher gibt, die glaube ich gar nicht mehr in Betrieb sind. Mich haben da vor allem die industriellen, militärischen und wirtschaftlichen Anlagen interessiert, die von einer kurzen Blüte der Stadt Zeugnis ablegen, die aber längst der Vergangenheit angehört.
DFP: Deine Fotos lassen den Gedanken aufkommen, die Schwarzweißfotografie sei genau für derartige Motive erfunden worden.
MM: Ja, die Holzbauten, die Betonbunker, die verwitterten Gebäude sind ja fast überladen mit Strukturen, die Graffitis auf dem Flugzeugwrack, das alles drängt einen die Farbe herauszunehmen und sich auf die Strukturen der Oberfläche zu konzentrieren. Deshalb auch die Wahl der Kamera, eine Leica M Monochrome, und keine normale digitale Systemkamera. Auch das Set-up mit den Objektiven hat gut gepasst.
DFP: Sind die Bilder denn dann direkt aus der Kamera so wie Du sie Dir vorgestellt hast.
MM: Ich bin ja sehr vertraut mit der M-Monochrome. Aber trotzdem verlangt jede Aufnahme eine planvolle Nachbearbeitung, bei der man sehr gezielt aber auch maßvoll vorgehen muss, um festzulegen, wieviel Struktur will ich, wie viele Grauwerte sollen erhalten bleiben, was lass ich raus, was soll ich verstärken?
Eher Unterstände als Behausungen der Inouit an der Küste von Churchill.
DFP: Wie ist da die Vorgehensweise?
MM: Mit der Leica ist das nicht ganz einfach. Da muss man Entscheidungen treffen. Die Kamera liefert einen enormen Informationsumfang, den man mit Vorsatz reduzieren muss, um damit auf entsprechend aussagekräftig Bilder zu kommen.
DFP: Kannst Du da ein Beispiel nennen?
MM: Stell Dir vor, Du hast eine Nebellandschaft. Du hast den bedeckten Himmel. Du hast die graue Landschaft. Keine Tiefen und keine Lichter. Wenn Du jetzt hergehst und machst alles standardmäßig, wie man es eigentlich machen würde, dann verliert das Motiv an Atmosphäre. Fotografierst Du aber im Vergleich dazu Holzhütten im Sonnenlicht in einer Landschaft, da gibt es harte Schatten, vielleicht auch Spitzlichter, die auch in der Standardentwicklung keine Zeichnung mehr haben, muss man sich überlegen was belasse ich m Bild und was lasse ich aus.
DFP: Welche Bildbearbeitungssoftware nutzt Du dafür?
MM: Ich bin vor zwei Jahren auf Capture One umgestiegen und bin damit sehr zufrieden. Im Grunde genommen habe ich da die gleichen Regler, wie in Adobe Lightroom auch aber die Engine dahinter interpretiert die Informationen – wenn auch nur in Nuancen – etwas unterschiedlich. Auch die Rauschunterdrückung oder das Nachschärfen sind im Prinzip sehr ähnlich aber das Ergebnis ist anders. Auch die Interpretation der Metadaten erscheint mir in Capture One anders zu als in Lightroom.
Gaffito am alten Bunker aus den Zeiten des kalten Krieges, in denen
Churchill ein vorgeschobener Militärposten war.
DFP: Nun ist ja eine Leica Monochrom nicht unbedingt die Kamera, die man als Naturfotograf mit in die Wildnis nimmt?
MM: Nein das war eine sehr bewusste Entscheidung, weil ich die Bilder von Churchill machen wollt. Für die Naturaufnahmen hatte ich meine Sony Ausrüstung mit entsprechenden Wechselobjektiven dabei, mit der ich ein sehr viel breiteres Spektrum an Motiven abdecken kann. Mit der Leica Monochrom habe ich nur Festbrennweiten, nur Schwarzweiß, eine Kamera, die auch nur manuell fokussiert werden kann und ich nur Objektive von maximal 15 mm bis 135 mm Brennweite nutzen kann. Alles andere gestaltet sich schwierig. In Churchill habe ich nur mit den 35er, 50er und 90er Objektiven fotografiert. Sonst hatte ich nur noch den hochauflösenden Visoflex Sucher dabei, der für die präzise Fokussierung sehr hilfreich war. Das zwingt Dich zu einer ganz anderen Fotografie als wenn ich mit meiner Systemkamera durch die Wildnis streife.
DFP: Aber gerade Leica Fotografen sprechen doch immer gern von einer dynamischen, schnellen spontanen Fotografie
.
MM: Mich zwingt die Leica Monochrom eher zu einer Art entschleunigter Fotografie. Das liegt auch an ihrer hervorragenden Technik. Der Sensor bildet das Motiv so präzise ab, dass jede Fokusabweichung sofort deutlich sichtbar wird.
Eisbär, das Wahrzeichen von Churchill am Eingang zum Hafen.
DFP: Du zählst ja zu den Pionieren der Digitalfotografie. Ich erinnere mich an unsere gemeinsame Arbeit für die Jubiläumsausgabe „50 Leica Fotografie“, für die wir alle Aufmacherseite erstmal digital mit der Leica S1 Scanner-Kamera produziert haben.
MM: Ja das war eine aufregende Zeit. Das war ja wirklich zu den Anfängen der Digitalfotografie, zu eine Zeit, wo wir noch Speziallicht benötigten und wo die S1 eine Auflösung lieferte, die es in der allgemeinen Fotografie so nicht gab. Neben der speziellen Beleuchtung bedurfte es auch entsprechender Rechenleistungen, um die Ergebnisse entsprechend aufbereiten zu können.
Maximilian Mutzhas, Fotograf, Dozent an der August Everding Theaterakademie
und Masterclass-Referent an der Leica Akademie.
DFP: Bis heute hast Du ja einen reichen Erfahrungsschatz in der Digitalfotografie sammeln können, den Du ja auch gerne weitergibst…
MM: Ja, das stimmt, ich lerne gerne dazu und ich lehre auch gern. Ich habe das Glück in der Leica Akademie im Bereich der „Leica Master Class“ zu lehren. Dann bin ich Dozent an der Akademie „August Everding“ am Münchner Prinzregenten Theater, wo ich angehende Maskenbildner im Bereich Porträtfotografie unterrichte. Zudem habe ich Workshop an der Münchner Volkshochschule im Landkreis München Nord, die traditionell sehr aktiv im Bereich Fotografie ist.
DFP: Welche Rolle spielt denn Deiner Meinung nach dem Equipment für die Qualität eines Fotos?
MM: Kameras, ob Handy oder eine hoch technisiertes, professionelles Aufnahmegerät, das sind alles nur Werkzeuge. Das Wichtige bei der kreativen Arbeit ist aber die Wahrnehmung und das Gehirn und die daraus gewonnene Erzählung. Deshalb versuche ich meine Kursteilnehmer gern dazu zu bewegen, die komplexe Technik einmal beiseite zu schieben und ihren Geist anzustrengen, um etwas zu schaffen, das einer Erzählung gleichkommt. Dazu ein Beispiel: Ich versuche gerade kochen zu lernen. Ich habe dazu inzwischen fast alles was man braucht, um gut zu kochen. Töpfe, Pfannen, Messer und so weiter. Aber ich kann deswegen noch lange nicht gut kochen! Ebenso schwierig und komplex ist das mit der Fotografie und ihren vielen Variablen, die es zu beherrschen und für ein optimales Ergebnis möglichst perfekt zu kombinieren gilt. Die verwendeten Werkzeuge prägen das zwar das Bild. Das beabsichtigte Bildergebnis verlangt aber umgekehrt auch nach bestimmten Werkzeugen.
DFP: also waren es Deine Bilder im Kopf, de nach dem Einsatz der Leica Monochrom für Dein Buch
Verlangten?
MM: Für mich war klar, dass ich hier ein optimales Werkzeug für meine Geschichte habe. Deshalb habe ich sie ja auch mitgenommen. Mit einer anderen Kamera wäre es eine etwas andere Geschichte geworden.
DFP: Max, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei der Fortsetzung der Geschichte über Churchill und die Bewohner des Hinterzimmers vom Paradies.
Heiner Henninges