Drei L-Mount-Kameras im Kompatibilitäts-Faktencheck:
Lumix S1R, Sigma fp und Leica CL
Bisher gab es nur zwei Systemstandards in der Geschichte der Fotobranche, die sich wirklich herstellerübergreifend, weltweit durchgesetzt haben: die 35mm Kleinbildfilmpatrone und das digitale JPEG- Dateiformat. Nun haben Leica, Panasonic und Sigma auf der photokina mit dem L-Mount einen gemeinsamen Standard angekündigt, der es gestatten soll, Wechselobjektive sowohl hersteller- als auch formatübergreifend zu verwenden. Ein sehr ehrgeiziges, kundenfreundliches Konzept. Konnte die L-Mount Allianz in den drei Jahren ihrer Existenz tatsächlich das Fotografieren mit Wechselobjektiven revolutionieren?
Versprechen und Allianzen zur Standardisierung hat es in der Fotografie viele gegeben. Die meisten sind an der mangelnden Bereitschaft zu einer echten Zusammenarbeit trotz kundenfreundlicher, löblicher Ziele gescheitert oder unbemerkt wieder in der Versenkung verschwunden. So hielt sich die allgemeine Begeisterung bei der Vorstellung der L-Mount Allianz auf der letzten photokina 2018 auch in Grenzen. Zwar war jedem klar, welche Vorteile die Kompatibilität von Wechselobjektiven zwischen Kameras unterschiedlicher Marken den Kunden bringen könnte, doch so recht glaubte niemand daran, dass die Allianz auch funktionieren würde. So schön sich der Traum auch anhört, dass sich L-Mount-Objektive sowohl an Kameras mit Sensoren im Voll- und APS-C-Format verwenden lassen und dies auch noch an Kameras unterschiedlicher Markenhersteller, so groß war dann auch die zu erwartende Enttäuschung, darüber, dass Theorie und Praxis zunächst einmal ganz anders aussahen und weit auseinander klafften. Warum?
Vollformatobjektive an APSC-Kameras oder umgekehrt: Macht das Sinn?
Ja, meinen wir!
Offensichtlich hatten Leica, Panasonic und Sigma das Kompatibilitätsversprechen zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Als wir bei unseren Tests mit drei der vielversprechendsten Kameras der Allianz die Objektive untereinander austauschten, funktionierte der Datenaustausch nur beschränkt oder gar nicht. Fehlermeldungen häuften sich. Mühselig diese im Einzelnen aufzuführen, denn – oh Wunder – nach und nach veröffentlichten Leica, Panasonic und auch Sigma Firmware Updates für ihre L-Mount-Kameras und Objektive- und siehe da – die versprochene Kompatibilität war Wirklichkeit geworden! Und mehr noch: Funktionen, die manche Kameras bis dahin nicht boten, wie beispielsweise die optische Bildstabilisation durch das Objektiv, standen plötzlich durch den Einsatz fremder Objektive doch zur Verfügung. Die Möglichkeit Objektive herstellerübergreifend einsetzen zu können, erweiterte die kreative Flexibilität in Bezug auf die zur Auswahl stehenden Lichtstärken und Brennweiten enorm.
Leica CL: L-Mount mit APS-C-Sensor.
Auf dem Prüfstand landeten die Leica CL für das APS-C System sowie die Panasonic S1R und die Sigma fp jeweils mit Vollformatsensor. Jede einzelne Kamera für sich – auch abgesehen vom L-Mount – ausgestattet mit zukunftweisender Fototechnik für anspruchsvollste fotografische Herausforderungen. Jede mit einem ganz speziellen Konzept hinsichtlich der angestrebten Zielgruppe, die auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten erkennen lassen und die Frage aufwerfen, ob der Bauchaufschwung für zusätzliche Kompatibilität tatsächlich so erstrebenswert war oder ob nicht mehr Individualität und mehr Spezialisierung es auch getan hätten.
Als die Kameras uns nach und nach erreichten und die ersten Fingerübungen damit hinter uns lagen, begeisterte uns zunächst ihre Individualität. Jede hat ihr ganz spezifisches Konzept, ja repräsentiert einen eignen Charakter. Jede lässt auf ihre Art Fotografenherzen höherschlagen. Doch dann die große Enttäuschung: Außer, dass die sich L-Mount-Objektive tatsächlich an alle Kameras ansetzen ließen, war von Kompatibilität keine Spur. Nachfragen bei den Herstellern: Sorry wir arbeiten mit Hochdruck an einem Firmware Update, das dieses Problem aus dem Weg räumt!
Erst nach einigen Firmware Updates wirklich kompatibel:
Panasonic Lumix S1R.
Die Wartezeit wurde von uns genutzt, um uns intensiver mit den jeweils individuellen Stärken und Unterschieden der drei Prüflinge zu befassen. Und die sind gewaltig: Die Lumix S1R – kompromisslos ausgerichtet auf Bildqualität, zunächst ohne Rücksicht auf Gewicht oder Größe bei Kamera und Objektiven, eine Herausforderung selbst für „Schwerglas-Fanatiker“. Dieses System, das hinsichtlich der Auflösung seiner Objektive schon weit über den höchsten Anforderungen aktueller Sensoren liegt und mit dem uns zur Verfügung gestellten Lumix S 1,4/50 mm die Referenz im L-Mount-Umfeld liefert, löste in Bezug auf seine Bildqualität echte Begeisterung aus, auch wenn diese Kombination Fotografen im wahrsten Sinne des Wortes schwer belastet.
Sigma fp: Klein, flexibel robust, die spiegellose Hybridkamera
für Fotografen und Filmer mit Vollformatsensor.
Die Sigma fp – zwar ebenfalls mit einem Vollformatsensor ausgestattet – bietet nur halb so viele Pixel wie die Lumix S1R und verfolgt auch ein völlig anderes Konzept, das die Flexibilität und Mobilität professioneller Content-Produzenten durch seine kompakte, robuste Modulbauweise sowie mit vielen innovativen Funktionen im Bereich der gleichwertigen Nutzung von Film und Foto in den Vordergrund rückt und Mobilität sowie Flexibilität in den Fokus stellt.
Liebhaber klassischen Designs in kompakter Bauweise, dessen Formgebung Zitate der ersten Schraub-Leicas deutlich werden lässt, werden sich wohl von der eleganten Leica CL mit APS-C Sensor sowie ihrer dem Firmenmotto der „Konzentration auf das Wesentliche“ folgenden Form und Ausstattung angesprochen fühlen. Diese Kamera signalisiert zwar Anspruch, lässt dabei jedoch gleichzeitig vornehmes Understatement deutlich werden. Alle geprüften Modelle sind fraglos hervorragende Kameras, denen ein umfangreiches, untereinander weitgehend austauschbares Objektiv- und Zubehörprogramm für das kreative Fotografieren zur Verfügung steht!
Nachdem alle Kameras und Objektive mit der aktuellsten Firmware versehen waren, hatte dies einen weiteren Lerneffekt: neue Versionen bringen nicht immer nur Funktionserweiterungen! Sie lassen für weniger bedeutsam erachtete Funktionen auch unauffällig verschwinden. So geschehen beim Update 3.2 der Leica CL, für die inzwischen die Version 4.0 erhältlich ist. Hier ist die Touch-Funktion für die gleichzeitige AF-Einstellung und Kamera-Auslösung in der Version 3.2 verschwunden und aktuell mit dem Update auf 4.0 wiederaufgetaucht. Bei Sigma ist augenblicklich die Version 2.0 aktuell und auch die Panasonic S1R haben wir inzwischen auf die Firmwareversion 1.5 aktualisiert. Lerneffekt Nr.1: Für eine reibungslose Kompatibilität ist jeweils die jüngste Firmware für Kamera und Objektiv Voraussetzung!
Beispiekfotos mit der APS-C-LMount-Kamera Leica CL.
Warum nun aber kreuz und quer Objektive tauschen, die offensichtlich zunächst nur für jeweils ihr eigenes Kamerasystem und ihr Sensorformat optimiert wurden? Warum beispielsweise ein Leica TL-Zoom, das doch nur einen Teil der Fläche eines Vollformatsensors ausleuchtet an einer Lumix S1R oder einen vergleichsweisen großen Klotz wie das Lumix S 1:1,4/ 50 m Standardobjektiv an der Leica CL verwenden?
Die Frage wäre einfach beantwortet: Weil es geht! Doch es geht um mehr! Das Premium Standardobjektiv für die Lumix S1R ergibt durch den Crop-Faktor 1,5x an der Leica CL ein hochlichtstarkes 1:1,4/75 mm Porträtobjektiv mit außergewöhnlicher Schärfeleistung und einem sanften Unschärfeverlauf im Hintergrund. Auch das sehr kompakte 45 mm/2,8 Standardobjektiv für die Sigma fp Vollformatkamera macht dort mit 67,5 mm effektiver Brennweite durchaus Sinn. Zudem erlaubt es die manuelle Blendeneinstellung über den Blendenring am Objektiv, so dass sich die voreingestellte Blende stets ablesen lässt, selbst bei ausgeschalteter Kamera.
Beispielbilder mit der Lumix S1R von Panasonic
Wichtige Kenndaten für die erzielbare Bildqualität mit spiegellosen Kamerasystemen sind das Auflagemaß, die damit mögliche Schnittweite der Objektive, der Durchmesser des Innenbajonetts und die Sensordiagonale. Als Schnittweite wird der Abstand zwischen der Hinterlinse des Objektivs und der Sensoroberfläche bezeichnet. Also die Distanz, die der Lichtstrahl eines Bildpunktes nach dem Verlassen des Objektivs zurücklegen muss, bevor er auf das entsprechende Pixel trifft. Je kürzer diese Strecke ist, umso geringer die Gefahr der Ablenkung und des Verlustes der Intensität, sprich Helligkeit. Das Potenzial der für präzisere Abbildungen und lichtstärkere Objektive für die Konstrukteure nimmt damit zu. Die Schnittweite lässt sich zudem dadurch verkürzen, dass die Hinterlinse von Objektiven in den Raum zwischen Bajonett Auflage und Sensoroberfläche hineinragt (eine theoretische Möglichkeit, die jedoch auf keines der verwendeten Objektive zutraf).
L-Mount-Objektive im Größenvergleich: das größte: Lumix-S 50 mm/ f1,4 (links)
und das kleinste (rechts) Sigma 45mm F2,8.
Es ist seit langem eine Spezialität von Leica Objektivkonstruktionen, dass sich Objektive auf die Vorder- oder Rückseite stellen lassen, ohne befürchten zu müssen, dass dabei vorstehende Linsen oder andere mechanischen Teile beschädigt werden könnten.
Beispielfotos mit der Sigma fp un dem45mm/f2.8
Zum Abschluss unseres L-Mount Praxistests vermieste jedoch erneut ein Wermutstropfen den Versuch den Verbrauchern reinen Wein in Bezug auf die Wahrheit hinsichtlich der tatsächlichen Kompatibilität der Produkte innerhalb der L-Mount-Allianz einzuschenken: So vermeldet Sigma Probleme bei der Verwendung seiner fp Vollformatkamera mit dem kompakten Lumix S 20-60mm F3.5-5.6 Zoom und verspricht Abhilfe zu schaffen: durch ein weiteres Firmware Update. Fehlt es der L-Mount Allianz an der nötigen Kommunikation oder wird sie von den Partnern nicht ernst genug genommen? Letzteres könnte für das Trio verheerende Auswirkungen auf das Vertrauen der Kunden haben. Aktuell bietet die L-Mount Allianz das größte Objektiv-Portfolio überhaupt an und auch die Zahl der Kameratypen nimmt langsam aber kontinuierlich zu. Bleibt letztlich abzuwarten, ob der mögliche Hersteller- und Modellmix die Fotografie wirklich vielseitiger, flexibler und kreativer machen wird.