Stefan Daniel, BEreichsleiter Products Photo Division der leica Camera AG..
Stefan Daniel hat 1984 bei Leica eine Ausbildung zum Feinmechaniker begonnen. Anschließend hat er in der Reparaturabteilung gearbeitet und nach etwa 450 reparierten Leica R3-Kameras aufgehört weiter zu zählen. Ziel war es zunächst nach der Ausbildung ein Studium zu beginnen. Stattdessen bot ihm der damalige Vorstand an, ihn in die Leica Niederlassung Frankreich in Paris zu schicken, um dort die Kollegen im Service auszubilden. Aber noch immer gab es den Wunsch ein Studium zu beginnen, woraus wieder nichts wurde, weil ihm die Aufgabe eines Produktmanagers angeboten wurde. Schon Anfang der 2000er wurde er Produktmanager für das M-System und schließlich Bereichsleiter des Produktmanagements bei der Leica Camera AG. Wir haben ihn gefragt, wie sich denn seine große Liebe für das M -System in dieser Aufgabe weiterentwickelt hat.
Das Fotoportal (DFP): Darf man denn als Bereichsleiter des gesamten Produktmanagements überhaupt eine Lieblingskamera haben?
Stefan Daniel (SD): Das ist eine Frage, die immer wieder auftaucht. Wenn sie Kinder haben, dann ist das keine Frage, die man eigentlich stellen kann. Natürlich hängt mein Herz an der M. Mit ihr bin ich auch am tiefsten verwurzelt. Aber natürlich ist es auch meine professionelle Aufgabe, die anderen Produkte im Portfolio ebenso erfolgreich wie möglich zu machen.
DFP: Das Leica M-System ist das traditionellste und umschließt wohl die sich am längsten im Markt behauptende Kamerafamilie überhaupt. Was aber macht Leica M zu einer modernen Kamera?
SD: Eine interessante Frage. Ich habe gestern auf dem Nachhauseweg ein interessantes Gespräch gehört. Da ging es um den dänischen Komponisten Nielsen, der zu Besuch bei Bela Bartok war. Der fragte ihn: Deine Musik ist aber nicht besonders modern? Nielsens Antwort war: Das ist mir egal. Entweder ist eine Musik gut oder schlecht. Das Zitat würde ich gern auch auf die heutigen M-Kameras anwenden. Die Leica M10-Familie in ihrer heutigen Form repräsentiert sehr wohl ein modernes Kamerasystem. Sie ist mit ihrer Bildqualität absolut ‚state of the art‘. Auf der anderen Seite sind es traditionelle Kameras mit einer manuellen Fokussierung. Aber die Bildqualität, die Elektronik, der Sensor und natürlich die Objektive – das ist einerseits sehr modern aber gleichzeitig auch einzigartig.
DFP: Dabei bieten die M-Kameras nicht wie andere so viele Features wie möglich, sondern muten für manche in ihre „Konzentration auf das Wesentliche“ fast schon spartanisch an?
SD: Ich würde die Leica M Kameras immer eher mit einem Werkzeug oder Musikinstrument vergleichen als mit einer Maschine. Mein Kollege in der Objektiventwicklung Peter Karbe führt dazu den Vergleich mit einem Füllfederhalter an, an den man sich auch erst gewöhnen muss, um dann das Schreiben mit einer Feder besonders zu lieben und es nicht mehr lassen zu wollen. Sozusagen könnte die Leica M-Kamera auch die Stradivari der Fotografie sein.
Stefan Daniel mit Leica SL
DFP: Grenzt das die Zielgruppe für eine Leica M über den Preis hinaus nicht noch weiter ein?
SD: Die Käuferschaft für eine Leica ist sehr viel breiter als man gemeinhin denkt. Klassisch wird sie ja meist mit der Reportage- oder Street-Fotografie in Verbindung gebracht. Dabei ist sie – und jetzt speziell die Leica M10-R – hervorragend geeignet für die Landschaftsfotografie, auch für die Reisefotografie bietet sie sich an, weil sie klein und leicht ist. Aber eine Leica M 10-R wendet sich schon vor allem Kunden, die schon eine gewisse Erfahrung in der Fotografie haben. Die vielleicht sogar eine neue Herausforderung brauchen. Sehr häufig machen wir die Erfahrung, dass Kunden die Leica M-Fotografie erst einmal langsam entdecken aber dann gar nicht mehr von ihr lassen wollen.
DFP: Insofern sagt die Leica M ja wohl auch viel über ihren Besitzer aus?
SD: Das stimmt! Es ist eher eine vertraute, eingeschworene Gemeinde. Wenn sich zwei M-Besitzer begegnen, geschieht das nicht, ohne dass sich ein Gespräch entwickelt. Insofern sehen sich Leica Fotografen schon als Mitglied einer Familie.
DFP: Diese Familie der Puristen, lässt sich ja durch einfache Leica Zubehörangebote wie beispielsweise den R-Adapter und den Visoflex-Sucher für M-Kameras stark erweitern?
SD: Ja, die M ist heute im Grunde vielseitiger denn je. Gerade durch die Möglichkeiten des Live-View und des elektronischen Suchers lassen sich Gebiete der Fotografie erschließen, die nicht unbedingt zu den Bereichen gehören, für die M-Kameras konzipiert waren. Umgekehrt haben wir auch Funktionen aus der M-Familie wieder entfernt, wie beispielsweise die Möglichkeit von Videoaufnahmen, die wir auf Wunsch vieler Kunden in dieser Produktfamilie jetzt weglassen. Die meisten M-Fotografen sind so auf die Fotografie spezialisiert, dass sie auch keinerlei Ablenkung wünschen.
DFP: Ist es denn schlau so einer spitzen Zielgruppe nachzugeben, wo doch gerade das Zusammenwachsen von Fotografie und Video die Fotografie revolutioniert hat?
SD: Es ist ja nicht so, dass wir nicht nur die M-Familie im Programm haben. Die Rolle der hoch performanten Videolinie übernimmt bei uns das SL-System, speziell die SL2. Da bieten sich auch viel mehr Möglichkeiten, gerade auch in Bezug auf die Flexibilität hinsichtlich der Anschlüsse. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jede Kamera-Linie konsequent auf ihre besonderen Stärken auszustatten.
Stefan Daniel präsentiert stolz das Leica SL-System.
DFP: Wo sehen Sie dann das Zukunftspotenzial für die M-Reihe?
SD: Auf den ersten Blick scheint die aktuelle Reihe weitest gehend perfekt, für die aktuellen Ansprüche. Aber natürlich haben wir viele Ideen für die Zukunft. Diese werden sich wohl weniger in Form einer Revolution manifestieren als im Sinne einer Evolution. Möglicherweise wird das auch nicht in dieser rasanten Form stattfinden, wie das in den letzten zehn Jahren geschehen ist.
DFP: Zu den beständigsten auch rückwärtskompatiblen Produkten im Leica Sortiment zählen von Beginn an die Objektive. Werden hier Neuentwicklungen bewährte Produkte alt aussehen lassen.
SD: Bei den Objektiven wird die Brücke die zwischen alt und neu am deutlichsten. Die sind salopp gesagt vor digitalen Alterserscheinungen gefeit. An der Leica M10-R lassen sich die hohe Qualität und der Charakter der meisten M Objektive selbst aus analogen Zeiten im vollen Umfang nutzen.
DFP: Ist es denn denkbar die M-Linie mit Autofokus auszustatten?
SD: Diese Frage wird nicht nur unter den Fans, sondern auch intern bei uns immer wieder mal diskutiert. Die Integration einer AF-Funktion in einer M wäre aus heutiger Sicht mit so vielen Kompromissen verbunden, dass wir dies ausschließen. Dabei würde vermutlich eine Kamera herauskommen, wo der Formfaktor der Kamera und die Größe der Objektive nicht mehr dem Anspruch an eine M-Kamera entsprächen.
Ich meine das Thema Fokussieren, von dem viele glauben, dass es eine Hürde sei, nur ein wenig Übung verlangt und einige einfache Vorsichtsmaßnahmen. Dazu gehört beispielsweise, den Sucher sauber zu halten. Wenn jemand eine M- nicht richtig fokussieren kann, dann liegt das häufig daran, dass jemand einen Fingerabdruck auf dem Sucherfenster hat.
DFP: Stellt da Leica auch gewisse Ansprüche an die Kunden?
DS: So habe ich das noch nicht gesehen. Lassen Sie es mich so sagen: Wenn ein Fotograf ein qualitativ hochwertiges Bild machen will, bieten wir ihm diese Möglichkeit in einer besonders kompakten Kamera. Zwar gibt es auch andere kompakte, spiegellose Digitalkameras mit Kleinbildsensor, aber deren Objektive sind deutlich größer, weil sie auch die AF-Steuerung beinhalten müssen. Dadurch können wir die M-Objektive unschlagbar klein bauen. Wenn ich zum Beispiel ein M-Objektiv mit 35 mm Brennweite und 1:1,4 Lichtstärke habe, dann ist die M-Version vielleicht so groß wie eine Mandarine. Mit AF-Steuerung wäre sie schon so groß wie eine Orange. Wer in ein besonders kompaktes System investieren möchte, muss in Kauf nehmen, dass er manuell fokussieren muss. Wenn man das beherrscht, macht es richtig Spaß!
Stefan Daniel, Leica Camerqa.
DFP: Als Bereichsleiter der Product Division Photo haben Sie ja auch die Verantwortung für die jüngste Kameralinie im Leica Portfolio, die sich anschickt – nicht zuletzt unterstützt von angesehenen Partnern – sich im Markt stark zu machen. Wie ist denn da die „Vater-Kind“ Beziehung?
SD: Sehr gut, denn erstmal ist es eine sehr vielseitige Kamera: Sie hat Autofokus. Sie hat Video. Sie hat den besten Sucher, den man sich vorstellen kann. Insofern ist es eine Kamera, die gar keine Wünsche offenlässt und aus unserer Sicht ganz vorne mitschwimmt. Darauf sind wir stolz. Das SL-System macht seinen Weg. Jetzt schon in der zweiten Generation. Weitere Innovationen sind hier auch in Planung. Wir sehen das als ein komplementäres System zur M, wobei sich beide Systeme ergänzen. Dazu trägt natürlich auch bei, dass sich M-Objektive an einer SL nutzen lassen.
DFP: Wie wirken sich denn die Partnerschaften; sprich die L-Mount-Alliance auf den Erfolg aus?
SD: Das ist für uns ein wesentlicher Erfolgsfaktor! Wir haben gesehen, als wir 2015 mit der Leica SL angefangen haben und alleine waren, und auch nur ein begrenztes Objektiv-Portfolio hatten, dass es uns schwergefallen ist, neue Kunden von diesem System zu überzeugen. Das ist mit den Partnern Panasonic und Sigma sehr viel einfacher. Die Kunden haben jetzt Zugriff auf ein wesentlich breiteres Objektiv-Portfolio hinsichtlich der Brennweiten sowie Lichtstärken und auch der Preisklassen als wir das alleine bieten könnten.
DFP: Das L-Mount ist ja formatübergreifend. Es ist zu Kameras mit Kleinbild- und mit APS-C- Sensoren kompatibel. Allerdings führen die Leica TL- und CL-Kameras mit APS-C-Sensoren eher ein Schatten-Dasein?
SD: Speziell der Markt der APS-C-Kameras ist sehr hart umkämpft. Da haben auch Mitbewerber interessante Angebote. Da entscheidet wahrscheinlich in dieser Klasse auch der Preis.
DFP: Allgemein schrumpft der Kameramarkt seit Jahren kontinuierlich. Wie sehen Sie dann die Zukunftschancen für die kreative Fotografie?
SD: Da bin ich sehr optimistisch, weil das Werkzeug dazu, nämlich die Kamera, den kreativen Prozess unterstützt. Ich versuche da mal ein Beispiel anzuführen. Man kann sicher eine sehr gute Suppe kochen in einem Thermomix. Das Gerät sagt einem, was zu tun ist und man wirft die Zutaten hinein. Das ist das Eine. Das ist ein vorhersehbares Ergebnis. Nicht besonders kreativ. Anders gibt es Menschen, die gerne kochen und den Prozess des Kochens als solchen zelebrieren. Die werden aber wahrscheinlich eher kein solches Gerät benutzen, sondern ziehen es vor, dies von Hand zu tun. Ich glaube, dass es in der Fotografie ähnlich ist. Wenn man auf der Suche nach einem Motiv ist, das sich vielleicht schon im Kopf manifestiert hat, dann möchte ich meine Bildidee auch mit dem Werkzeug umsetzen, das sich dafür optimal eignet und den Akt der Fotografie genießen. Insofern sehe ich für Leica optimistisch in die Zukunft.
DFP: Herr Daniel vielen Dank für das Gespräch!