Die Leica I mit Objektiv Anastigmat 1:3,5/50 mm wurde erstmals 1925
auf der Leipziger Frühjahrsmesse präsentiert
Als Ernst Leitz II im Juni 1924 nach einer kontroversen Diskussion mit seinen leitenden Mitarbeitern die bahnbrechenden Worte „Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert!“ sprach, hatte der Mikroskophersteller in Wetzlar sein Fertigungsprogramm um die Sparte Fotografie erweitert – trotz aller damals bestehenden Risiken. Denn damit beschloss der Unternehmer, die von Oskar Barnack konstruierte „Kleinfilmkamera“ zusätzlich in das Programm aufzunehmen. Nachdem die zur Produktion notwendigen Maschinen beschafft, die erforderlichen Einzelteile erstellt und die ersten Kameras gefertigt waren ging es um die Frage: Wo soll die Leica erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden? Diese Anfang 1925 anstehende Entscheidung fiel allerdings leicht, denn die Leipziger Messe hatte sich zwischenzeitlich zu einer Weltmesse entwickelt.
Der Leitz-Leica Stand auf der Leipziger Messe (hier im Jahr 1932).
Foto: Sächsisches Staatsarchiv
Leipziger Messe – schon 1925 eine Weltmesse
Das „Alte Messegelände“ in Leipzig war bereits ab 1920 nach und nach ausgebaut worden, bis es 1928 aus 17 Hallen mit insgesamt 130.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche bestand. 1924 war mit der Errichtung der Halle 11 begonnen worden, die 1925 erstmals genutzt werden konnte. Im Rahmen der Frühjahrsmesse 1925 war vom 1. bis 11. März in der Turnhalle Leipzig am dortigen Frankfurter Tor eine „Technische Messe und Baumesse“ und hier eine spezielle „Messeausstellung Kino, Foto, Optik und Feinmechanik“ organisiert. Daher entschied Leitz, die Leica in Leipzig erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren – vor nunmehr 90 Jahren. Der Leitz-Stand mit der Nummer 194/195 war im Obergeschoss der Turnhalle angesiedelt. Und so sollte sich vom Frühjahr 1925 an das Aufnahmeformat 24×36 mm als das weltweit weitaus am meisten verwendete durchsetzen – und die Fotografie letztlich revolutionieren.
Wie es zur Leica kam
Ernst Leitz II hatte vor Beginn des Ersten Weltkriegs Anfang 1914 auf einer USA-Reise ein Exemplar der später so genannten Ur-Leica im Gepäck und fotografierte bei der Überfahrt sowie danach in New York intensiv. Seine dabei gewonnenen Eindrücke fasste er in der Bemerkung „im Auge behalten“ zusammen. Die von Barnack kriegsbedingt erst ab Anfang der 1920er Jahre betriebene Weiterentwicklung der Kamera und das von Max Berek dazu errechnete Objektiv, aber auch die Sorge um den Erhalt der Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter ließen den Unternehmer im Juni 1924 zu der historischen Entscheidung kommen, die „Kleinfilmkamera“ und damit ein vollkommen neues Kamera-System in das Produktionsprogramm der Leitz-Werke aufzunehmen – trotz erheblicher wirtschaftlicher, finanzieller und technischer Risiken: Es war die Zeit der Hyperinflation und der nachfolgenden Einführung der Rentenmark, durch die große Teile der Bevölkerung ihre gesamten Ersparnisse verlor. Es herrschte Massenarbeitslosigkeit, die Zahl der von Armut betroffenen Menschen ging in die Millionen. Des weiteren war die Fertigung einer Kamera mit 190 Einzelteilen für den bedeutenden Mikroskophersteller Leitz in Wetzlar völliges Neuland: Es fehlte der dafür notwendige Maschinenpark , auch hatte man keine Erfahrung in der Herstellung von vielen, sehr unterschiedlichen Kleinteilen und ihre komplizierte Montage zu einer kleinen Kamera. Außerdem war der Kino-Rohfilm wegen seiner geringen Empfindlichkeit und des groben Korns, das im Kino wegen des schnellen Bildwechsels von 24 Bildern pro Sekunde vom Zuschauer nicht wahrgenommen wurde, für die Stehbildfotografie nur eingeschränkt verwendbar. Zudem hatten die großen Firmen der fotochemischen Industrie anfänglich wenig Interesse daran, den Kinofilm für die Stehbildfotografie entscheidend weiterzuentwickeln. Schließlich betrachtete der Fotohandel das Negativformat von der Größe einer Briefmarke zunächst mit großer Skepsis, weil dieser auf Kontaktabzüge spezialisiert war und seine hierfür verwendeten Arbeitstechniken und –geräte nicht zum Herstellen von Papierbildern vom Kleinbildnegativ nutzen konnte. Daher ging es bei der Einführung der Leica nicht nur um die Kamera und das Objektiv, sondern um ein komplett neues fotografisches System mit Tageslichtpatrone für den Film, aber auch Vergrößerungsgerät und Projektor. Ausführlich wird dies in dem bereits in zweiter Auflage erschienenen Buch „Ernst Leitz – Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert“ beschrieben.
Ernst Leitz II (1871 – 1956) fällte 1924 die Entscheidung, die Leica Camera zu bauen,
mit den Worten „Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert!“
Carl Koch überzeugt schon auf der Messe wichtige Fotografen von der Leica
Bei der ersten Vorstellung der Leica auf der Leipziger Messeausstellung Kino, Foto, Optik und Feinmechanik 1925 erwarb sich Carl Koch, der Leiter des Leitz-Messestandes und gleichzeitig wichtigste Demonstrator des neuen Kamerasystems, große Verdienste. Schon auf der Messe begeisterte er später einflussreiche Fotografen für die neue Kamera. So überzeugte er beispielsweise den Schweizer Walter Bosshard von den neuen Möglichkeiten der kleinen, unauffälligen, dabei selbst unter schwierigen klimatischen Bedingungen sehr präzise arbeitenden Kamera, die zudem 36 Aufnahmen ohne Filmwechsel ermöglichte. Bosshard kaufte sich daher auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925 seine erste Leica und hatte als offizieller Fotograf der deutschen Zentralasien-Expedition 1927 bereits zwei Jahre Erfahrung, um das Vorhaben technisch betreuen, vor allem aber fotografisch dokumentieren zu können. Kurz darauf griffen neben anderen Alexander Rodtschenko, Gisèle Freund oder André Kertész ebenfalls zur Leica.
Carl Koch demonstrierte die neue „Kleinfilmkamera“ mit großem Erfolg
Schon bis Ende 1925 konnten etwa 1000 Leica Kameras verkauft werden. Max Berek, der die ersten Anastigmat-, Elmax- und schließlich Elmar-Objektive mit 50 mm Brennweite gerechnet hatte, zeichnete in den Folgejahren für weitere Objektive zur Leica verantwortlich, vor allem als diese ab 1931 einfach auswechselbar waren und das Programm laufend durch neue Normal-, Weitwinkel- und Teleobjektive ergänzt wurde. Was Barnack für die Mechanik der Kamera leistete, tat Berek für die Optik. Schließlich wurde der Siegeszug der Leica ständig durch praxisgerechte Verbesserungen und Neuentwicklungen unterstützt.
All dies begann vor nunmehr 90 Jahren mit der Vorstellung der Leica auf der Leipziger Messeausstellung Kino, Foto, Optik und Feinmechanik im Frühjahr 1925.
H.G.v. Zydowitz